Zusammen ist man weniger allein
später war sie zu ihnen gekommen. Allein.
Pierre und Mathilde besaßen Bilder von Tiepolo, Degas und Kandinsky, hatten jedoch keine Kinder. Camille wagte nicht, sie darauf anzusprechen, und ging ihnen mit Haut und Haar ins Netz. In der Folge erwies sie sich als so enttäuschend, daß die Maschen weiter wurden.
»Das ist purer Blödsinn! Du machst nichts als Blödsinn!« herrschte Pierre sie an.
»Warum liebst du dich nicht? Warum?« fügte Mathilde sanfter hinzu.
Sie ging nicht mehr zu ihren Vernissagen.
Wenn die beiden allein waren, zeigte er sich darüber sehr betrübt:
»Warum?«
»Wir haben sie nicht genug geliebt«, antwortete seine Frau.
»Wir?«
»Alle.«
Er legte den Kopf auf ihre Schulter und stöhnte:
»Ach … Mathilde. Ma Belle … Warum hast du sie ziehen lassen?«
»Sie wird zurückkommen …«
»Nein. Sie wird alles kaputtmachen …«
»Sie wird zurückkommen.«
Sie war zurückgekommen.
»Ist Pierre nicht da?«
»Nein, er ist mit seinen Engländern essen, ich habe ihm nicht gesagt, daß du kommst, ich wollte ein bißchen Zeit mit dir haben.«
Dann, mit Blick auf ihre Mappe:
»Aber … Du … du hast was mitgebracht?«
»Ach, das ist nichts Besonderes. Etwas Kleines, was ich ihm neulich versprochen habe.«
»Darf ich mal sehen?«
Camille antwortete nicht.
»Gut, dann wart ich auf ihn.«
»Ist das von dir?«
»Mmmm.«
»Mein Gott. Wenn er erfährt, daß du nicht mit leeren Händen gekommen bist, wird er untröstlich sein … Ich rufe ihn an …«
»Nein, nein!« antwortete Camille, »laß nur! Es ist nichts Besonders, wie gesagt … Das bleibt unter uns. Eine Art Mietzahlung.«
»In Ordnung. Wollen wir essen?«
Bei ihnen war alles schön, der Blick, die Gegenstände, die Teppiche, die Gemälde, das Geschirr, ihr Toaster, alles. Sogar ihr Klo war schön. Auf einem Gipsabdruck konnte man den Vierzeiler lesen, den Mallarmé in sein eigenes Klo geschrieben hatte:
Du bist hier, um dich zu entleeren,
Und magst in diesem finst’ren Gelände
Singen, rauchen, brauchst dich um nichts zu scheren
Nur eins sollst du nicht: mit der Hand an die Wände.
Beim ersten Mal hatte sie das echt umgehauen:
»Sie … Sie haben Mallarmés Klowände gekauft?!«
»Nicht doch«, lachte Pierre, »ich kenne nur den Menschen, der den Abguß dafür gemacht hat. Kennst du sein Haus? In Vulaines?«
»Nein.«
»Da müssen wir mal zusammen hin. Du wirst diesen Ort lieben. Liiiieeeeben.«
Und alles andere war entsprechend. Sogar ihr Klopapier war weicher als anderswo.
Mathilde freute sich:
»Was siehst du gut aus! Was hast du für eine schöne Gesichtsfarbe! Wie gut dir die kurzen Haare stehen! Du hast etwas zugenommen, oder? Wie glücklich ich bin, dich so zu sehen. Wirklich glücklich. Du hast mir sehr gefehlt, Camille. Wenn du wüßtest, wie sehr mir diese Genies manchmal auf die Nerven gehen. Je weniger Talent sie haben, um so mehr Wirbel machen sie. Pierre ist das gleich, das ist sein Terrain, aber ich, Camille, ich … Wie mich das anödet. Komm, setz dich zu mir, erzähl mir was.«
»Ich kann nicht erzählen. Ich zeige dir lieber meine Hefte.«
Mathilde blätterte, und sie kommentierte die Seiten.
Und während sie ihre kleine Welt auf diese Weise präsentierte, merkte sie erst, wie sehr sie an den anderen hing.
Philibert, Franck und Paulette waren mittlerweile die wichtigsten Menschen in ihrem Leben, und sie war gerade im Begriff, sich dessen bewußt zu werden, zwischen zwei Perserkissen aus dem 18. Jahrhundert. Sie war ganz aufgewühlt.
Zwischen dem ersten Heft und der letzten Zeichnung, die sie vorhin angefertigt hatte – Paulette freudestrahlend vor dem Eiffelturm –, waren nur wenige Monate vergangen, und doch war sie nicht mehr dieselbe. Es war nicht mehr dieselbe Person, die den Stift führte. Sie hatte sich gehäutet, sie hatte die Granitblöcke, die sie seit Jahren am Vorankommen hinderten, verrückt und gesprengt.
Heute abend warteten Menschen auf ihre Rückkehr. Menschen, die sich nicht darum scherten, was sie wert war. Die sie aus anderen Gründen mochten. Um ihretwillen vielleicht.
Um meinetwillen?
Um deinetwillen.
»Und?« fragte Mathilde ungeduldig, »du sagst gar nichts mehr. Wer ist das hier?«
»Johanna, Paulettes Friseuse.«
»Und das?«
»Johannas Stiefeletten. Rock ’n’ Roll, oder? Wie kann eine Frau, die den ganzen Tag im Stehen arbeitet, so was tragen? Selbstverleugnung im Dienste der
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