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Zusammen ist man weniger allein

Zusammen ist man weniger allein

Titel: Zusammen ist man weniger allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Gavalda
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Zum Glück oft dann, wenn ich nicht da war, und danach … Als ich größer wurde, hatte sie weniger Hemmungen, woraufhin eh … Einmal war ich bei einer Freundin zum Geburtstag. Als mich meine Mama am Abend nicht abholte, hat mich eine andere Mama bei mir vor der Haustür abgesetzt, und als ich ins Wohnzimmer kam, habe ich gesehen, wie sie tot auf dem Teppich lag. Die Feuerwehrleute sind gekommen, und ich habe zehn Tage bei der Nachbarin gewohnt. Danach hat ihr mein Papa gesagt, wenn sie sich noch einmal umbringt, würde er ihr das Sorgerecht entziehen, daraufhin hat sie aufgehört. Sie hat nur noch Medikamente gefuttert. Mein Papa hat mir erzählt, daß er zum Arbeiten weg muß, aber meine Mama hat mir verboten, ihm zu glauben. Sie hat mir jeden Tag erzählt, daß er ein Lügner sei, ein Dreckskerl, daß er eine andere Frau und ein anderes kleines Mädchen hätte, das er jeden Abend lieb streicheln würde.«
    Sie nahm wieder ihre normale Stimme an:
    »Es ist das erste Mal, daß ich darüber spreche. Du siehst, deine hat dich fertiggemacht, bevor sie dich in den Zug zurück setzte, aber meine hat mir jeden Tag in den Ohren gelegen. Jeden Tag. Manchmal war sie auch lieb. Sie hat mir Filzstifte gekauft und mir immer wieder gesagt, ich sei ihr ganzes Glück auf Erden.
    Wenn er kam, verzog sich mein Vater zu seinem Jaguar in die Garage und hörte Opern. Es war ein alter Jaguar, der keine Räder mehr hatte, aber das war nicht schlimm, wir fuhren trotzdem spazieren. Er sagte: ›Darf ich Sie an die Riviera entführen, Mademoiselle?‹ und ich setzte mich neben ihn. Das Auto habe ich geliebt.«
    »Was war das für ein Modell?«
    »Ein MK irgendwas …«
    »MKI oder MKII?«
    »Scheiße, das ist typisch Mann. Ich versuche dich zu Tränen zu rühren, und das einzige, was dich interessiert, ist die Automarke!«
    »Pardon.«
    »Schon gut.«
    »Erzähl weiter.«
    »Pff …«
    »›Na, Mademoiselle? Darf ich sie an die Riviera entführen?‹«
    »›Ja‹, lachte Camille, ›gerne‹. ›Haben Sie Ihren Badeanzug eingepackt?‹ fügte er hinzu, ›hervorragend. Und auch ein Abendkleid! Wir gehen bestimmt ins Casino. Vergessen Sie Ihren Silberfuchs nicht, in Monte Carlo sind die Nächte kalt.‹ Es roch so gut im Wagen. Nach altem Leder. Alles war schön, das weiß ich noch. Der kristallene Aschenbecher, der Spiegel in der Beifahrerblende, die winzigen Hebel zum Herunterkurbeln der Scheiben, das Handschuhfach, das Holz. Wie ein fliegender Teppich. ›Mit etwas Glück kommen wir vor Einbruch der Dunkelheit noch an‹, versprach er mir. Ja, so ein Mann war mein Papa, ein großer Träumer, der stundenlang in einem aufgebockten Auto sitzen, den Schalthebel betätigen und mich in einer Vorstadtgarage bis ans Ende der Welt mitnehmen konnte. Er war auch ganz verrückt nach Opern, unterwegs hörten wir Don Carlos, La Traviata oder Die Hochzeit des Figaro . Er erzählte mir Geschichten: über den Kummer der Madame Butterfly, die unmögliche Liebe zwischen Pelleas und Melisande, wenn er ihr gesteht, ich muß Ihnen etwas sagen, und es dann nicht über sich bringt, die Geschichten mit der Gräfin und ihrem Cherub, der sich die ganze Zeit versteckt, oder Alcina, die hübsche Zauberin, die ihre Freier in wilde Tiere verwandelt. Ich durfte immer reden, außer wenn er die Hand hob, und bei Alcina nahm er sie sehr oft hoch. Tornami a vagheggiar , ich kann dieses Lied nicht mehr hören. Es ist zu fröhlich. Aber meistens war ich still. Es ging mir gut. Ich dachte an das andere kleine Mädchen. Sie hatte das alles nicht. Das war verwirrend für mich. Heute sehe ich natürlich klarer: Ein Mann wie er konnte mit einer Frau wie meiner Mutter nicht leben. Einer Frau, die die Musik einfach abstellte, wenn es Zeit zum Essen war, und all unsere Träume wie Seifenblasen zum Platzen brachte. Ich habe sie nie glücklich gesehen, ich habe sie nie lächeln sehen, ich … Mein Vater hingegen war die Liebenswürdigkeit und Güte in Person. Ein wenig wie Philibert. Zu lieb, um das hier auf sich zu nehmen. Die Vorstellung, in den Augen seiner kleinen Prinzessin als Dreckskerl dazustehen. Also kam er eines Tages zu uns zurück. Er schlief in seinem Arbeitszimmer und fuhr am Wochenende weg. Keine Ausflüge mehr in dem alten grauen Jaguar nach Salzburg oder Rom, keine Casinos mehr und keine Picknicks am Strand. Und dann, eines Morgens, war er wohl müde geworden, denke ich mir. Sehr, sehr müde, und fiel von einem hohen Gebäude …«
    »Fiel oder

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