Zusammen ist man weniger allein
Ihren Prinzipien …«
»Dürfte ich Sie um einen Kuli bitten?«
»Carlo?«
»Mmm?«
»Einen Kuli für die Dame.«
»Wir akzeptieren keine Schecks unter fünfzehn Euro.«
»Nein, nein, es ist für was anderes.«
Camille nahm ihren Block und zeichnete, was sie im Spiegel sah.
Ein kahlköpfiges Mädchen mit strengem Blick, das in der Hand den Stift eines vergrätzten Pferderennfanatikers hielt und unter dem belustigten Blick eines jungen Mannes saß, der sich auf seinen Besenstiel stützte. Sie vermerkte ihr Alter und stand auf, um zu zahlen.
»Bin ich das?«
»Ja.«
»Irre, Sie zeichnen verdammt gut!«
»Ich gebe mir Mühe.«
15
Der Sanitäter, es war nicht derselbe wie beim letzten Mal, Yvonne hätte ihn wiedererkannt, rührte pausenlos mit seinem kleinen Löffel im Kaffee:
»Ist er zu heiß?«
»Pardon?«
»Der Kaffee? Ist er zu heiß?«
»Nein, alles in Ordnung, danke. Na ja, das ist nicht alles, ich muß unbedingt noch meinen Bericht schreiben.«
Paulette saß niedergeschlagen auf der anderen Seite des Tischs. Jetzt war sie fällig.
16
»Hattest du Läuse?« fragte Mamadou.
Camille zog gerade ihren Kittel über. Sie hatte keine Lust zu reden. Zu viele Steine, zu kalt, zu empfindlich.
»Bist du eingeschnappt?«
Sie schüttelte den Kopf, holte ihr Wägelchen bei den Mülltonnen und ging Richtung Fahrstuhl.
»Fährst du rauf in den fünften?«
»Hmm hmm …«
»Und warum mußt immer du in den fünften? Das ist doch nicht normal! Laß dir nicht alles gefallen! Soll ich mal mit der Chefin sprechen? Macht mir nix aus, ihr mal den Marsch zu blasen, weißt du! Ha! Mir doch scheißegal!«
»Nein, danke. Der fünfte oder ein anderer, mir ist das gleich …«
Die Mädels mochten diese Etage nicht, weil es die Etage der Chefs und der verschlossenen Büros war. Die anderen, die »oupen schpäsis«, wie die Bredart sagte, waren leichter und vor allem schneller zu reinigen. Man brauchte bloß die Mülleimer zu leeren, die Sessel an die Wand zu rücken und einmal mit dem Staubsauger durchzugehen. Man konnte sogar beherzt loslegen und auch mal gegen die Möbel stoßen, weil es ohnehin nur billiger Plunder war und sich keiner darum scherte.
Im fünften Stock hingegen erforderte jedes Zimmer ein ziemlich lästiges Ritual: Papierkörbe und Aschenbecher leeren, die Reißwölfe von Papier säubern, die Büros reinigen mit der Auflage, nichts anzufassen, nicht die kleinste Büroklammer zu verlegen und sich außerdem die angrenzenden Besucherzimmer und die Sekretariate anzutun. Die Weiber, die überall Post-its hinklebten, als würden sie sich an ihre eigene Putzfrau wenden, wo sie sich zu Hause nicht einmal eine leisten konnten … Und bitte schön noch dies und bitte schön noch das, und das letzte Mal haben Sie diese Lampe verstellt und dieses Teil kaputtgemacht und laber laber laber … Die Art nichtsnutziger Ausführungen, die dazu angetan waren, Carine und Samia zur Weißglut zu treiben, Camille jedoch völlig kaltließen. Wenn eine Notiz zu feldwebelhaft war, schrieb sie darunter: Ich nicht verstehen französisch und klebte sie mitten auf den Bildschirm.
In den Etagen darunter räumten die Angestellten ihr Gerumpel wenigstens einigermaßen auf, aber hier oben galt es als chic, alles herumliegen zu lassen. Nach dem Motto, man ist überlastet, ist bestimmt widerwillig gegangen, könnte aber jederzeit zurückkommen und seinen Platz, seinen Posten und seine Verantwortung am Großen Steuerrad der Welt wieder einnehmen. Bitte, warum nicht … seufzte Camille. Jedem seine Hirngespinste … Es gab jedoch einen, hinten links, am Ende des Flurs, der ihr allmählich ziemlich auf den Keks ging. Hohes Tier hin oder her, der Typ war ein Schwein, und allmählich reichte es ihr. Nicht nur, daß es schmuddelig war, sein Büro stank nach Verachtung.
Zehnmal, hundertmal vielleicht, hatte sie unzählige Plastikbecher, in denen irgendwelche Kippen schwammen, geleert und weggeworfen und trockene Sandwichreste aufgesammelt, ohne darüber nachzudenken, aber heute war das Maß voll. Heute abend hatte sie keine Lust. Sie sammelte also alle Abfälle von diesem Kerl zusammen, seine alten Nikotinpflaster voller Haare, seine Absonderungen, seine am Aschenbecherrand klebenden Kaugummis, seine Streichhölzer und
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