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Zusammen ist man weniger allein

Zusammen ist man weniger allein

Titel: Zusammen ist man weniger allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Gavalda
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Pfeifenreinigen, Saint-Wandrille-Wachs, Rémy-Wäschestärke, weich wie samtene Puzzleteile, wenn man sie berührte. Eine beeindruckende Kollektion an Bürsten aller Größen und Borstenarten, einen Staubwedel so schön wie ein Sonnenschirm, einen Buchsbaumspanner, um Handschuhen wieder zu ihrer Form zu verhelfen, und eine Art Schläger aus Weidenruten zum Teppichklopfen.
    Sie reihte diese Schätze gewissenhaft nebeneinander auf und hielt sie in einem großen Heft fest.
    Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, alles zu malen, um es Philibert an dem Tag zu überreichen, da er diese Wohnung verlassen mußte.
     
    Wann immer sie anfing aufzuräumen, fand sie sich im Schneidersitz wieder, in riesige Hutschachteln voller Briefe und Fotos versunken, und verbrachte Stunden mit schmucken Schnurrbartträgern in Uniform, vornehmen Damen, die geradewegs einem Gemälde von Renoir entstiegen waren, und kleinen Jungen, die wie kleine Mädchen gekleidet waren und mit fünf Jahren ihre rechte Hand auf ein Schaukelpferd legten, mit sieben auf einen Reifen und mit zwölf auf eine Bibel, die Schulter ein wenig zurück, um die weiße Armbinde des von der Gnade berührten Kommunikanten zu zeigen.
    Ja, sie liebte diesen Ort, und es geschah nicht selten, daß sie beim Blick auf die Uhr zusammenzuckte, durch die Metrogänge raste und sich von Super Josy einen Anpfiff einfing, wenn diese auf ihr Zifferblatt zeigte … Pah!
     
    »Wo willst du hin?«
    »Arbeiten, ich bin tierisch spät dran.«
    »Zieh dich warm an, es ist eiskalt.«
    »Ja, Papa. Übrigens …« fügte sie noch hinzu.
    »Ja?«
    »Morgen kommt Philou wieder …«
    »Echt?«
    »Ich habe mir den Abend freigenommen. Bist du da?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Na gut.«
    »Zieh dir wenigstens einen Scha…«
    Die Tür war schon ins Schloß gefallen.
     
    Da soll sich einer auskennen, wetterte er, wenn ich sie anmache, ist es verkehrt, und wenn ich ihr sage, sie soll sich warm anziehen, hört sie nicht auf mich. Das Weib bringt mich noch um.
     
    Neues Jahr, alte Last. Dieselben schweren Bohnermaschinen, dieselben immerzu verstopften Staubsauger, dieselben numerierten Eimer (»kein Gezänk mehr, Mädels!«), dieselben erbittert umkämpften Reinigungsmittel, dieselben verstopften Waschbecken, dieselbe liebenswerte Mamadou, dieselben müden Kolleginnen, dieselbe hektische Jojo. Alles beim alten.
     
    Besser in Form, war Camille doch weniger eifrig. Sie hatte ihre Steine am Eingang abgeladen, wieder angefangen zu arbeiten, lechzte nach Tageslicht und sah keinen großen Sinn mehr darin, verkehrt herum zu leben. Am Morgen war sie am produktivsten, und wie sollte sie morgens arbeiten, wenn sie nie vor zwei oder drei im Bett war, erschöpft von der körperlichen wie aufreibenden Arbeit?
     
    Ihre Hände kribbelten, ihr Gehirn lief auf Hochtouren: Philibert würde zurückkommen, Franck war erträglich, die Vorzüge der Wohnung unermeßlich. Eine Idee ging ihr nicht aus dem Kopf. Eine Art Freske. Nein, nicht wirklich eine Freske, das Wort war zu hochtrabend. Vielmehr eine Beschwörung. Ja, genau, eine Beschwörung. Eine Chronik, eine imaginäre Biographie des Ortes, an dem sie lebte. Hier gab es so viel Material, so viele Erinnerungen. Nicht allein die Gegenstände. Nicht allein die Fotos, sondern auch die Atmosphäre. Eine Atmosphäääre , wie die andere sagen würde. Gemurmel, noch etwas Herzklopfen. Diese Bücher, diese Gemälde, die arroganten Zierleisten, die Lichtschalter aus Porzellan, die blanken Kabel, die Wärmflaschen aus Metall, die kleinen Töpfe mit Kataplasma, die maßgefertigten Schuhspanner und all die vergilbten Etiketten.
    Das Ende einer Welt.
     
    Philibert hatte sie gewarnt: Eines Tages, vielleicht morgen schon, würden sie gehen müssen, ihre Kleider, ihre Bücher, ihre CDs, ihre Erinnerungen, ihre zwei gelben Tupperschüsseln zusammensuchen und alles zurücklassen.
    Und dann? Wer weiß? Bestenfalls die Aufteilung, schlimmstenfalls den Sperrmüll, den Trödelmarkt oder die Altkleidersamm
    lung. Klar, die Wanduhr und die Zylinderhüte würden Abnehmer finden, aber der Alkohol zum Pfeifenreinigen, die Vorhangfalten, der Pferdeschweif mit seinem kleinen Votivbild In memoriam Venus, 1887-1992, stolzer Fuchs mit getupfter Nase und der Rest Chinin in einem blauen Fläschchen auf der Ablagefläche im Bad, wer würde sich darum scheren?
     
    Konvaleszenz? Somnolenz? Sanfte Demenz? Camille wußte nicht, wann noch wie diese Idee zu ihr gefunden hatte, aber irgendwie hatte sie sich

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