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Zwanghafte Gier

Zwanghafte Gier

Titel: Zwanghafte Gier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Norman
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schneller, entschlossener als bisher. Das war seine einzige Chance, wieder zu Bolin aufzuschließen. Auch war er sich bewusst, dass er äußerst vorsichtig sein musste, sobald er die Betonstraße verließ; sonst lief er Gefahr, so zu enden wie der Truck – oder gar schlimmer.
    Inzwischen hatte Jude den Umgang mit der kleinen, aber starken Taschenlampe nahezu perfektioniert. Er leuchtete direkt vor seinen durchnässten Halbstiefeln auf den Boden und blickte alle paar Sekunden auf, um sicherzugehen, dass er noch immer auf den Toyota zuhielt. Dann schaute er wieder nach unten.
    Die durchdrehenden Reifen verrieten ihm, dass Bolin noch immer darum kämpfte, den Truck aus dem Schlamm zu befreien; deshalb musste Jude im Augenblick nicht mehr so viel Angst haben, entdeckt zu werden.
    Bestimmt war der Boden vom Regen verschlammt; vielleicht gab es dort sogar einen kleinen Sumpf. Während er so rasch wie möglich vorwärts schritt, wunderte sich Jude, wie schnell ein Stadtmensch wie er sich an die Nacht auf dem Land mit ihren ungewohnten Gerüchen und Geräuschen gewöhnen konnte.
    Mach dir nichts vor.
    In einer Nacht wie dieser, bei diesem verdammten Wetter, entwickelte niemand sich spontan zum Pfadfinder, im Gegenteil: Übertriebenes Selbstvertrauen konnte rasch zur Katastrophe führen.
    Es gab jedoch ein Geräusch, von dem Jude glaubte, es mit Sicherheit zuordnen zu können.
    Es wurde immer lauter und war bald nur noch ein paar Meter von ihm entfernt.
    Wasser.
    Aber das Meer war das nicht. Das war nicht das Geräusch anbrandender Wellen, sondern etwas, das noch aktiver, noch belebter war als ein rauschender Fluss.
    Konzentrier dich.
    Ein Schritt nach dem anderen.
    Der Motor des Toyota heulte wie ein Tier unter Schmerzen, und einen Augenblick später sah Jude im Licht des ersten Blitzes seit mehreren Minuten, wie der Truck das Hindernis, das ihm im Weg war, fast überwunden hätte; dann rollte er wieder zurück.
    Jude stellte sich vor, wie Bolin fluchte, und lächelte in die Dunkelheit. Dabei vertrat er sich, stolperte und fiel auf die Knie.
    »Scheiße«, fluchte er leise vor sich hin. Da er jedoch nicht verletzt war, widerstand er dem Verlangen, einen Augenblick zu bleiben, wo er war. Irgendwie empfand er den nassen, harten Boden unter sich als einladend, und er bemerkte, wie erschöpft er war. Er dachte an sein Bett, seine Matratze und seine Decke.
    Er dachte an Alex’ Arme.
    Weiter vorn heulte der Motor des Toyota wieder auf ...
    ... und der Wagen kam los.
    Jude stand rasch auf und marschierte strammen Schrittes weiter.

101
    Alex saß wieder in dem Sessel am Fenster des Gästezimmers. Sie schlief tief und fest und träumte.
    Sie träumte von einem Picknick an einem wundervollen, wilden, grünen Ort nahe dem Meer. Sie träumte von Gurkensandwiches, Scones, Marmelade und einem Teller Moussaka vor sich auf einem weißen Tuch im Gras.
    Matt, Suzy und Jude saßen auf der anderen Seite des Tuchs, und alle lächelten sie an.
    Niemand sagte ein Wort. Alle lächelten nur.
    Alex war warm ums Herz. Sie war glücklich und fühlte sich sicher, so wie ein Kind sich innerhalb der geliebten Familie sicher fühlt.
    Dann standen Matt und Suzy auf und gingen davon, ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen, und irgendetwas in Alex’ Innerem war überrascht und froh, dass Suzy so mühelos gehen konnte. Doch das gute Gefühl verebbte rasch, als sie verschwanden.
    Jude stand auf.
    »Nein«, sagte Alex in ihrem Traum. »Bitte.«
    »Ich muss mich mit einem Mann wegen eines Hauses treffen«, erklärte Jude.
    Er hob die Hand und war verschwunden.
    Erschrocken wachte Alex in ihrem Sessel auf.

102
    Nachdem er das offene Tor und damit das Ende der Betonstraße erreicht hatte und seine Stiefel in dem schlammigen Untergrund versunken waren, war Jude klar geworden, dass er von Glück würde sagen können, sollte er sich diese Nacht keine Erkältung oder gar Lungenentzündung einfangen. Beides hätte er jedoch einem gebrochenen Bein, dem Ertrinken im Sumpf oder einem Blitzschlag vorgezogen.
    Oder einer Begegnung oder gar einem Kampf mit Bolin.
    Sollte es so weit kommen, stand der Ausgang jetzt schon fest.
    Inzwischen wusste Jude, dass das Krachen und Knirschen, das er gehört hatte, kurz bevor der Toyota stecken geblieben war, von einem weiteren Tor stammte, einem Drahtgeflecht, in das Bolin vermutlich unbeabsichtigt hineingefahren war.
    Anschließend hatte der Truck sich noch einmal kurz im Schlamm am Fuß des Anstiegs festgefahren, auf dessen

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