Zwanzig Jahre nachher (German Edition)
beinahe König, König von Frankreich?« Das war eine jener Demütigungen, welche die Königin oft von Mazarin zu erdulden hatte, und unter denen sie jedesmal den Kopf neigte. Deshalb betrachtete die Königin Anna mit einem gewissen Schrecken die drohenden Züge des Kardinals, denen es in solchen Momenten nicht an einer gewissen Größe fehlte. »Mein Herr,« sprach sie, »habe ich nicht gesagt, und habt Ihr nicht gehört, wie ich zu diesen Leuten sagte, Ihr würdet tun, was Euch gut dünkt?«
»In diesem Falle,« entgegnete Mazarin, »muß es mir gut dünken, zu bleiben, glaube ich. Das ist nicht bloß mein Interesse, sondern ich erlaube mir auch zu sagen, daß es Ihre Rettung ist.«
»Bleibt also, mein Herr, ich wünsche nichts weiter, dann aber lasset mich nicht beleidigen.«
»Sie wollen von den Anforderungen der Aufrührer und von dem Tone sprechen, womit sie dieselben gestellt haben. O, Geduld! sie haben ein Terrain gewählt, auf dem ich ein viel geschickterer Feldherr bin als sie. Wir werden sie ganz einfach dadurch schlagen, daß wir Zeit gewinnen. Sie haben bereits Hunger; in acht Tagen geht es ihnen noch schlimmer.«
»O, mein Gott, ja, mein Herr, ich weiß, daß wir damit endigen werden; allein es handelt sich nicht bloß um sie, sie haben mir nicht die empfindlichsten Beleidigungen zugefügt.«
»Ach, ich begreife, Sie wollen von den Erinnerungen reden, welche diese drei oder vier Kavaliere unablässig hervorrufen. Wir halten sie in Gewahrsam, und sie sind strafbar genug, um sie so lang behalten zu können, wie es uns beliebt. Nur Einer ist noch außer unserer Gewalt, und bietet uns Trotz. Doch zum Teufel! wir werden auch ihn mit seinen Kameraden vereinigen können. Ich denke, daß wir schon viel Schwierigeres getan haben als das. Ich ließ zuvörderst und vorsichtshalber die zwei Widerspenstigsten in Rueil einsperren, nämlich unter meinen Augen und mir zur Hand. Der dritte wird noch heute zu ihnen stoßen.«
»So lange sie gefangen sitzen, wird das gut sein,« versetzte die Königin, »doch werden sie eines Tages frei werden.«
»Ja, wenn sie Ihre Majestät in Freiheit setzt.«
»Ha doch,« fuhr die Königin fort, auf ihre eigenen Gedanken antwortend, »so beklagt man Paris.«
»Warum?«
»Wegen der Bastille, mein Herr, die so fest und verschwiegen ist.« »Madame, mit den Konferenzen haben wir den Frieden, mit dem Frieden haben wir Paris, mit Paris besitzen wir die Bastille, und darin sollen unsere vier Großsprecher verkümmern.« Die Königin Anna runzelte leicht ihre Stirne, indes ihr Mazarin die Hand küßte, um sich zu beurlauben.
Begleitet von Mazarin und bedeckt von Comminges und einigen Soldaten, kam Athos nach Rueil, wo er im Auftrage Mazarins im Pavillon der Orangerie untergebracht wurde. Comminges zeigte sich sehr entgegenkommend und teilte Athos zu dessen Verwunderung mit, daß sich d'Artagnan im selben Hause befinde, und daß nur eine Mauer verhindere, daß die beiden Freunde einander durch die Fenster erblicken könnten. Athos bat Comminges, d'Artagnan seine Ankunft mitzuteilen und ihm auch beiläufig zu erzählen, daß Mazarin, ihn, Athos, noch am selben Abend zu besuchen, versprochen habe.
Kopf und Arm
Nunmehr begeben wir uns von der Orangerie nach dem Jagdpavillon. Im Erdgeschosse dieses Pavillons saßen Porthos und d'Artagnan, und teilten die langen Stunden ihrer Gefangenschaft, welche diesen beiden Temperamenten so widerwärtig war. D'Artagnan schritt mit stieren Augen und manchmal dumpf brüllend längs der eisernen Stangen eines breiten Fensters, das auf den Diensthof ging, einem Tiger ähnlich, auf und nieder. Porthos wiederkäute stillschweigend ein kostbares Mittagsmahl, von dem die Ueberreste eben weggetragen wurden. Der Eine schien der Vernunft beraubt und tiefsinnig; der Andere schien in tiefes Nachdenken verloren und schlief; nur war sein Schlaf ein schwerer Traum, was sich aus der abgebrochenen und unzusammenhängenden Weise seines Schnarchens erraten ließ. »Seht, der Tag neigt sich,« sprach d'Artagnan. »Es muß ungefähr vier Uhr sein. Es sind bald 183 Stunden, daß wir hier sitzen.«
»Hm,« machte Porthos, als wollte er damit eine Antwort gegeben haben. »Hört Ihr denn nicht, ewiger Schläfer!« rief d'Artagnan ungeduldig, daß sich ein Anderer bei Tage dem Schlafe hingeben könne, wo er alle Mühe von der Welt hatte, um nachts schlafen zu können. »Was?« fragte Porthos. »Was ich sage.«
»Was sagt ihr denn?«
»Ich sage, daß wir schon bald 183
Weitere Kostenlose Bücher