Zwanzig Jahre nachher (German Edition)
schnell.
»Was denn?« fragten mehrere Stimmen.
»Sie lustwandelte mit ihrer guten Marcelline in dem Gehege, wo die Holzhauer ihre Bäume spalten und aufschichten, als ich vorüberritt und bei ihrem Anblicke anhielt. Auch sie gewahrte mich, und da sie von der Höhe eines Holzstoßes herabspringen wollte, auf den sie gestiegen war, tat das arme Kind einen Fehltritt und konnte nicht mehr aufstehen. Ich glaube, sie verrenkte den Knöchel am Fuße.«
»O mein Gott!« rief Athos; »und ist ihre Mutter davon in Kenntnis gesetzt?«
»Nein, gnädiger Herr, Frau von Saint-Remy befindet sich in Blois, bei der Frau Herzogin von Orleans. Ich war in Besorgnis, der erste Verband möchte ungeschickt angebracht sein, und eilte hierher, gnädiger Herr, um mir Ihren Rat zu erbitten.«
»Schicke allsogleich nach Blois, Rudolf, oder reite vielmehr selbst in Eile dahin.«
Rudolf verneigte sich.
»Doch wo ist Louise?« fragte der Graf.
»Ich führte sie hierher, gnädiger Herr, und brachte sie zu Charlots Frau, die ihr indes den Fuß in Eißwasser stellen ließ.«
Nach dieser Erklärung, welche zum Vorwande diente, aufzustehen, nahmen die Gäste von Athos Abschied, bloß der alte Herzog von Barbé, der ob einer zwanzigjährigen Freundschaft mit dem Hause de la Vallière sich zu den näher Befreundeten rechnete, besuchte die kleine Louise, welche in Tränen schwamm, die aber sogleich, als sie Rudolf erblickte, ihre Augen trocknete und wieder zu lächeln anfing. Er tat nun den Vorschlag, die kleine Louise in der Kutsche nach Blois zu führen.
»Allerdings,« bemerkte Athos, »wird sie viel lieber bei ihrer Mutter sein; aber was dich betrifft, Rudolf, so bin ich überzeugt, daß du unbesonnen warst und Schuld daran trägst.«
»Nein, o Herr, nein, ich versichere Sie,« rief das junge Mädchen, indes der Jüngling bei dem Gedanken erblaßte, er möchte Schuld an diesem Unfalle sein. »O gnädiger Herr,« stammelte Rudolf – »ich beteuere Ihnen –«
»Du wirst aber jedenfalls nach Blois gehen,« sprach der Graf, »und dich wie mich bei Frau von Saint-Rouch entschuldigen, wonach du wieder zurückkehren wirst.«
Als Athos und d'Artagnan wieder allein waren, kam das Gespräch sofort auf Rudolf. D'Artagnan erkundigte sich eingehend nach dem so sympathischen jungen Manne und Athos berichtete, daß dieser verwaist sei und er ihn adoptiert habe, außerdem habe er ihm die Grafschaft Bragelonne zugeschrieben, wodurch Rudolf den Namen eines Vicomte de Bragelonne führe. Da d'Artagnan fühlte, daß dieses Thema dem Freund nicht lieb sei, begann er sogleich, vorsichtig von seinen Zukunftsplänen zu sprechen. Er erinnerte auch hier wieder an die schöne Vergangenheit und fragte Athos, ob er nicht etwa daran denke, wieder zum aktiven Dienst zurückzukehren. Da bekam er die deutliche und nicht ohne Anzüglichkeit gegebene Antwort zu hören: »Wenn es der Sache des Königs gilt, ohne einen Augenblick zu zögern! Vorausgesetzt allerdings, daß Mazarin die Hände nicht im Spiele hat.«
So mußte d'Artagnan also auch auf diesen Freund verzichten, was ihm um so schwerer fiel, als ihm Athos innerlich am nächsten stand. Als man bei der Tafel saß, erhielt Athos einen Brief Mazarins, der ihn dringend nach Paris berief. D'Artagnan entschuldigte sich bei Athos, ließ die Pferde satteln und machte sich, nach schmerzlichem Abschied von seinem väterlichen Freund und dessen Pflegesohn, der eben im Begriffe war, nach Blois zurückzukehren, mit Planchet auf den Weg nach Paris.
Der Graf folgte ihm mit den Augen nach, indem er die Hand auf die Schulter des jungen Mannes stützte, dessen Größe schon fast der seinigen gleich kam; als sie aber hinter der Mauer verschwunden waren, sprach der Graf: »Wir gehen diesen Abend nach Paris ab.« »Du magst in meinem Namen für dich selbst Abschied bei Frau von Saint-Remy nehmen. Ich erwarte dich hier um sieben Uhr.« Der junge Mann verneigte sich mit einer Miene voll Schmerz und voll Dankbarkeit, und ging fort, um sein Pferd zu satteln.
Was d'Artagnan betrifft, so hatte auch er, als er ihnen kaum aus dem Gesichte gekommen war, den Brief aus der Tasche gezogen und abermals durchgelesen.
»Kehrt alsogleich nach Paris zurück! I. M. ...«
»Dieser Brief ist trocken,« murmelte d'Artagnan, »und stände nicht eine ›Nachschrift‹ dabei, so hätte ich ihn vielleicht gar nicht verstanden; doch zum Glücke befindet sich auch eine Nachschrift dabei.« Er las nun diese merkwürdige Nachschrift, derentwegen er sich
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