Zwanzig Jahre nachher (German Edition)
von Chevreuse von Überraschung zum Erstaunen und vom Erstaunen zur höchsten Verwunderung überging; als sie Athos anblickte, nahm ihr Gesicht einen Ausdruck an, der sich nicht beschreiben läßt; man sah es, sie wollte sprechen, allein sie schwieg, weil sie eines der Worte ihres Gesellschafters zu verlieren fürchtete. »Dann?« fragte sie. »Dann?« versetzte Athos; »darin liegt eben die Schwierigkeit.« »Sprechen Sie, ha, sprechen Sie, man darf mir alles sagen. Überdies geht mich das nichts an, es betrifft nur die Jungfer Marie Michon.«
»Ah, das ist richtig«, entgegnete Athos. »Nun, Marie Michon speiste also mit ihrer Dienerin zu Nacht, und als sie gegessen hatte, kehrte sie, der erhaltenen Erlaubnis zufolge wieder in das Zimmer zurück, worin der Hauswirt schlief, indes es sich Ketth in dem vorderen Zimmer, nämlich dort, wo man das Nachtmahl verzehrt hatte, in einem Lehnstuhl bequem machte.«
»In Wahrheit, mein Herr!« rief Frau von Chevreuse, »wenn Sie nicht der Teufel in Person sind, so weiß ich nicht, wie Ihnen alle diese Einzelheiten bekannt sein können.«
»Diese Marie Michon war ein reizendes Wesen,« sagte Athos, »eines jener mutwilligen Geschöpfe, in deren Geist unablässig die wunderlichsten Gedanken spuken, und die geboren sind, um uns alle, die wir da sind, zur Verdammnis zu bringen. Da sie nun der Meinung war, daß ihr Wirt ein Hagestolz und Weiberfeind sei, so stieg in dem Geiste der Kokette der Gedanke auf, es wäre wohl unter den vielen lustigen Erinnerungen, die sie bereits hatte, auch eine lustige Erinnerung für ihre alten Tage, diesen Mann zur Verdammnis zu bringen.«
»Graf,« fiel die Herzogin ein, »auf mein Ehrenwort, Sie erschrecken mich.«
»Der arme Maire«, begann Athos wieder, »war leider kein kalter, unerschütterlicher Fels, und Marie Michon, ich wiederhole es, war ein reizendes Wesen.«
»Graf,« fiel die Herzogin lebhaft ein und erfaßte Athos' Hand, »sagen Sie mir auf der Stelle, wie Sie diese näheren Umstände wissen, oder ich berufe jemand, daß er Ihnen den Satan austreibe.«
Athos fing zu lachen an. »Gnädige Frau, nichts ist leichter. Ein Reiter, der eine wichtige Sendung hatte, kam eine Stunde zuvor zu dem Hause des Maire, der zugleich Arzt war, und bat um Gastfreundschaft; er kam gerade in dem Augenblicke, wo der Maire im Begriffe stand, zu einem plötzlich Erkrankten zu eilen, der ihn berufen ließ, und somit nicht allein das Haus, sondern das ganze Dorf für diese Nacht zu verlassen. Der menschenfreundliche Maire und Arzt setzte volles Vertrauen in seinen Gast, der überdies Edelmann war, und räumte ihm bereitwillig sein Zimmer ein. Somit hatte Marie Michon von dem Gaste des Maire und nicht von dem Maire selbst Gastfreiheit angesprochen.«
»Und dieser Reiter, dieser Gast, dieser vor ihr eingetroffene Edelmann?«
»War ich – der Graf de la Fere«, erwiderte Athos, indem er aufstand und vor der Herzogin von Chevreuse eine Verbeugung machte.
Die Herzogin war einen Augenblick wie betäubt, dann erhob sie auf einmal ein Gelächter und sagte: »Ha, meiner Treue, das ist sehr drollig, und die mutwillige Marie Michon hat etwas Besseres gefunden, als sie vermutete. Nehmen Sie Platz, Herr Graf, und setzen Sie Ihre Geschichte fort.«
»Nun erübrigt mir nur noch, mich anzuklagen, gnädige Frau. Wie schon erwähnt, befand auch ich mich eines dringenden Auftrages wegen auf der Reise, und so verließ ich mit Tagesanbruch das Gemach, wo ich meine reizende Genossin schlafen ließ. Im vorderen Zimmer schlief gleichfalls die ihrer Herrin ganz würdige Dienerin, den Kopf in einen Lehnstuhl zurückgelegt. Ihr hübsches Antlitz blendete mich; ich trat hinzu und erkannte die kleine Keith, der unser Freund Aramis einen Dienst bei ihr verschafft hat. Auf diese Art erfuhr ich denn, wer diese reizende Reisende sei –«
»Marie Michon,« ergänzte lebhaft Frau von Chevreuse.
»Marie Michon«, wiederholte Athos. »Nunmehr verließ ich das Haus, ging nach dem Stalle, fand mein Pferd gesattelt und meinen Diener bereit, wonach wir uns auf den Weg machten.«
»Und sind Sie niemals wieder durch dieses Dorf gekommen?« fragte Frau von Chevreuse gespannt.
»Ein Jahr darauf, gnädige Frau.«
»Nun?«
»Nun, ich wollte den guten Maire wieder besuchen. Ich fand ihn sehr bestürzt ob eines Ereignisses, das ihm nicht einleuchtete. Acht Tage zuvor hatte er in einer Wiege einen allerliebsten, drei Monate alten Knaben mit einer Börse voll Gold und einem Briefchen erhalten,
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