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Zwei an Einem Tag

Zwei an Einem Tag

Titel: Zwei an Einem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Nicholls
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fahren sie schweigend hinauf. Stephanie Shaw trägt eine adrette Bobfrisur, sieht schick und zierlich aus in dem makellosen weißen Hemd – nein, kein Hemd, eine Bluse – und dem engen schwarzen Bleistiftrock, Lichtjahre entfernt von dem mürrischen Gruftimädchen, das vor Jahren im Tutorium neben ihr gesessen hat, und Emma merkt, dass sie eingeschüchtert ist von dem professionellen Gebaren und der Geradlinigkeit ihrer alten Bekannten. Stephanie Shaw hat vermutlich schon Leute gefeuert . Vermutlich sagt sie Sachen wie »Kopieren Sie mir das!«. Wenn Emma das in der Schule versuchte, würde man sie auslachen. Während Emma mit verschränkten Fingern im Aufzug steht, hat sie plötzlich das dringende Bedürfnis, loszukichern. Es ist, als würden sie »Büro« spielen.
    Die Aufzugtür öffnet sich im 30. Stock, und sie betreten ein geräumiges Großraumbüro, durch dessen hohe Rauchglasfenster man Aussicht auf die Themse und Lambeth hat. Als Emma nach London gekommen war, hatte sie hoffnungsvolle, naive Briefe an Verlage geschrieben und sich vorgestellt, wie ältere Sekretärinnen mit Halbmondbrillen auf der Nase sie in unordentlichen, heruntergekommenen Georgianischen Anwesen mit Elfenbeinbrieföffnern aufschlitzen. Dieses Büro ist elegant, hell und jugendlich, der Inbegriff des modernen Verlagshauses. Das einzig Beruhigende sind die schiefen, scheinbar willkürlich abgelegten Bücherstapel, mit denen der Boden und die Tische übersät sind. Zielstrebig geht Stephanie voran, dicht gefolgt von Emma, und überall tauchen Gesichter hinter den Bücherstapeln auf, um den Neuankömmling zu begutachten, während sie sich bemüht, gleichzeitig ihre Jacke auszuziehen und weiterzugehen.
    »Also, ich kann nicht garantieren, dass sie alles gelesen oder es überhaupt gelesen hat, aber sie wollte dich treffen, und das ist großartig, Em, wirklich großartig.«
    »Ich weiß das wirklich zu schätzen, Stephanie.«
    »Vertrau mir, Em, das Buch ist wirklich gut. Wenn es nicht gut wäre, hätte ich es ihr nicht gegeben. Es liegt nicht in meinem Interesse, ihr Ramsch anzudrehen.«
    Es war eine Schulgeschichte, genauer gesagt ein Liebesroman für Jugendliche, der in einer Gesamtschule in Leeds spielte, eine Art realistische, ungeschönte Version von Dolly . Darin ging es um eine Schulaufführung von Oliver! , erzählt aus der Sicht von Julie Criscoll, der frechen, rebellischen Darstellerin des Artful Dodger. Illustriert war das Ganze mit in den Text eingebundenen Kritzeleien, Karikaturen und sarkastischen Sprechblasen wie aus dem Tagebuch eines Teenagermädchens.
    Die ersten 20000 Wörter hatte sie an Verlage geschickt und geduldig abgewartet, bis sie von jedem einzelnen eine Absage bekommen hatte: eine komplette Sammlung. Nichts für uns, tut uns leid, dass wir Ihnen nicht weiterhelfen können, hoffentlich haben Sie woanders mehr Glück , hieß es, und das einzig Ermutigende war, dass alle sehr allgemein gehalten waren; das Manuskript wurde offenbar nicht gelesen, sondern nur mit dem Standardbrief abgelehnt. Von allen Dingen, die sie geschrieben und nicht vollendet hatte, war dies das erste, das sie nach erneutem Lesen nicht quer durchs Zimmer schleudern wollte. Sie wusste, es war gut. Es lag auf der Hand, dass sie auf Vitamin B zurückgreifen musste.
    Trotz etlicher, einflussreicher College-Kontakte hatte sie sich insgeheim geschworen, ihre erfolgreicheren Bekannten nie um einen Gefallen zu bitten, das war, wie einen Freund um Geld anzupumpen. Aber sie hatte jetzt einen Ordner voller Absagen zusammen und wurde nicht jünger, woran ihre Mutter sie gern erinnerte. In einer großen Pause hatte sie sich ein ruhiges Klassenzimmer gesucht, ihren ganzen Mut zusammengenommen und Stephanie Shaw angerufen. Es war das erste Gespräch seit drei Jahren, aber immerhin mochten sie sich wirklich, und nachdem sie sich gegenseitig auf den neuesten Stand gebracht hatten, war Emma mit der Sprache herausgerückt: Würde Stephanie etwas lesen? Ich habe etwas geschrieben. Ein paar Kapitel und eine Inhaltsübersicht für ein albernes Teenager-Buch. Es geht um ein Schulmusical.
    Und jetzt trifft sie sich tatsächlich mit einer waschechten Lektorin. Sie ist nervös von zu viel Kaffee, ihr ist schlecht vor Angst, und die Tatsache, dass sie zum Schwänzen gezwungen ist, verbessert ihren fiebrigen Zustand auch nicht. Heute findet eine wichtige Lehrerkonferenz statt, die letzte vor den Ferien, und wie eine Schülerin auf Abwegen war sie am Morgen aufgewacht, hatte

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