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Zwei an Einem Tag

Zwei an Einem Tag

Titel: Zwei an Einem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Nicholls
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angebrochene zweite Weinflasche. Er schenkt sich noch ein Glas ein.
    Es ist jetzt fast zehn. Er versucht es mit Fernsehen, diese Big-Brother -Sache, begreift aber den Sinn nicht ganz, und deshalb bleibt ihm nur die griesgrämige Missbilligung des TV-Veteranen über den Zustand der Fernsehindustrie. »Kapier ich nicht«, sagt er laut. Selbst die nun aufgelegte Musik, ein Sampler, der das eigene Heim in die Lobby eines europäischen Boutique-Hotels verwandeln soll, und das Blättern in Sylvies alten Zeitschriften überfordern ihn. Er macht die Spielkonsole an, aber weder Metal Gear Solid noch Quake , noch Doom , ja nicht einmal das höchste Level von Tomb Raider bringen ihm Frieden. Die Gesellschaft eines Erwachsenen fehlt ihm, er muss sich mit jemandem unterhalten, der nicht nur schreit, wimmert und schläft. Er greift nach dem Telefon. Mit seiner Trunkenheit ist auch der alte Zwang zurückgekehrt: einer attraktiven Frau etwas Dummes zu sagen.
    Stephanie Shaw hat eine neue Milchpumpe. Das finnische Spitzenmodell tuckert und brummt unter ihrem T-Shirt wie ein kleiner Außenbordmotor, während sie auf dem Sofa sitzen und versuchen, sich Big Brother anzuschauen.
    Emma hatte geglaubt, heute Abend würde eine Dinnerparty stattfinden, aber als sie in Whitechapel ankam, waren Stephanie und Adam zu erschöpft zum Kochen; hoffentlich mache es ihr nichts aus. Stattdessen sitzen sie da, sehen fern und plaudern, während die Milchpumpe weiter tuckert und brummt und dem Wohnzimmer die Atmosphäre eines Melkstalls verleiht. Wieder mal eine große Nacht im Leben einer Patentante.
    Es gibt Unterhaltungen, auf die Emma keine Lust mehr hat, und alle drehen sich um Babys. Die ersten paar hatten noch den Reiz des Neuen, und ja, es war spannend, lustig und anrührend, die Gesichtszüge ihrer Freunde in einer Miniaturversion vereint und verschmolzen zu sehen. Und natürlich macht es immer Freude, die Freude anderer mitzuerleben.
    Aber doch nicht so viel Freude, denn dieses Jahr kommt es ihr vor, als halte man ihr jedes Mal ein Neugeborenes unter die Nase, wenn sie einen Fuß vor die Tür setzt. Sie empfindet dieselbe Furcht, wenn jemand einen ziegelsteingroßen Stapel Urlaubsfotos anschleppt: Wie schön, dass du so viel Spaß hattest, aber was hat das mit mir zu tun? Deshalb hat sich Emma einen faszinierten Gesichtsausdruck zugelegt, den sie immer dann aufsetzt, wenn man ihr vom Wehenschmerz erzählt, welche Narkose benutzt wurde und ob sie nachgegeben und sich für die Periduralanästhesie entschieden haben, die Höllenqual, die Freude.
    Aber das Wunder der Geburt, der Elternschaft im Allgemeinen, ist nicht übertragbar. Emma hat keine Lust mehr, über die Belastungen des Schlafmangels zu reden; war das nicht absehbar gewesen? Sie will auch keine Bemerkungen mehr über das Lächeln von Babys machen, oder wie es zuerst der Mutter ähnlich sah und jetzt dem Vater, oder wie es anfangs dem Vater ähnelte, aber jetzt den Mund der Mutter hat. Und weshalb sind sie so besessen von der Größe der Hände, der Patschehändchen mit den winzigen, winzigen Fingernägelchen, wo doch eigentlich große Hände viel erstaunlicher gewesen wären. »Schau mal, was für Riesenflossen unser Baby hat!« Das würde wirklich für Gesprächsstoff sorgen.
    »Ich schlafe gleich ein«, sagt Adam, Stephanies Mann, der im Sessel sitzt und den Kopf auf die Faust gestützt hat.
    »Vielleicht sollte ich gehen«, sagt Emma.
    »Nein! Bleib!«, sagt Stephanie ohne Begründung.
    Emma nimmt sich weitere Kettle-Chips. Was ist nur aus ihren Freunden geworden? Sie waren lustig, gesellig, lebensfroh und interessant, aber mittlerweile verbringt sie zu viele Abende mit kreidebleichen, gereizten, hohläugigen Paaren in muffigen Zimmern, die sich darüber wundern, dass das Baby mit der Zeit größer und nicht kleiner wird. Sie hat es satt, vor Entzücken zu quietschen, wenn ein Baby krabbelt, als sei »Krabbeln« eine völlig unvorhersehbare Entwicklung. Was haben sie denn erwartet, dass es fliegt? Der Geruch eines Babykopfes lässt sie kalt. Sie hat es mal versucht, aber es roch wie die Rückseite eines Uhrenarmbands.
    Ihr Handy klingelt im Rucksack. Sie nimmt es heraus, sieht Dexters Namen auf dem Display, macht sich aber nicht die Mühe abzunehmen. Nein, sie hat keine Lust, von Whitechapel nach Richmond zu fahren, nur um zuzusehen, wie er Klein Jasmine auf den Bauch pustet. Es ödet sie besonders an, wie ihre männlichen Freunde die Neuer-Junger-Vater-Nummer abziehen; mitgenommen,

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