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Zwei an Einem Tag

Zwei an Einem Tag

Titel: Zwei an Einem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Nicholls
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erzähle ich dir alles darüber, aber nur, wenn du wirklich kommst.)
Mir gegenüber an der Wand sitzt eine dieser riesigen Gottesanbeterinnen und guckt mich an, als wolle sie sagen, jetzt komm mal zum Ende, also tue ich das jetzt. Es hat aufgehört zu regnen, und ich gehe nun runter in die Bar, um mich mit ein paar neuen Bekannten zu treffen, drei Medizinstudentinnen aus Amsterdam, das sagt eigentlich schon alles. Aber auf dem Weg suche ich mir einen Briefkasten und schicke den Brief ab, bevor ich es mir anders überlege. Nicht, weil ich es für eine schlechte Idee halte, wenn du herkommst – es ist eine tolle Idee, und du musst kommen – sondern, weil ich vielleicht zu viel gesagt habe. Tut mir leid, wenn dich das hier auf die Palme bringt. Die Hauptsache ist, dass du weißt, dass ich oft an dich denke, das ist alles. Dex und Em, Em und Dex. Nenn mich sentimental, aber es gibt niemanden, den ich lieber mit Dünnpfiff sehen würde als dich.
Taj Mahal, 1. August, 12 Uhr mittags.
Ich werde dich finden!
Alles Liebe
D
    … und dann streckte er sich, kratzte sich am Kopf, trank den Rest Bier aus, nahm die Briefseiten, ordnete sie und legte den Stapel feierlich vor sich hin. Er schüttelte sich den Schreibkrampf aus der Hand; elf Seiten innerhalb kürzester Zeit, so viel hatte er seit den Abschlussprüfungen nicht mehr geschrieben. Zufrieden streckte er die Arme über den Kopf und dachte: Das ist kein Brief, sondern ein Geschenk.
    Dexter schlüpfte wieder in die Sandalen, stand leicht schwankend auf und wappnete sich für die Gemeinschaftsdusche. Er war braungebrannt. Daran hatte er die letzten zwei Jahre gearbeitet, und die Bräune war tief in die Haut eingedrungen wie Gartenzaunbeize. Das Haar hatte er sich von einem Straßenbarbier raspelkurz scheren lassen, außerdem hatte er abgenommen. Insgeheim gefiel ihm der neue Look: heroisch-abgemagert wie jemand, der gerade aus dem Dschungel gerettet wurde. Um das Image zu vervollständigen, hatte er sich ein unauffälliges Tattoo auf den Knöchel stechen lassen, ein nichtssagendes Yin-Yang-Motiv, das er zurück in London wahrscheinlich bereuen würde. Aber das war nicht schlimm. In London würde er Socken tragen.
    Von der kalten Dusche ernüchtert, kehrte Dexter in das winzige Zimmer zurück, durchwühlte seinen Rucksack auf der Suche nach etwas zum Anziehen für das Treffen mit den holländischen Medizinstudentinnen und beschnüffelte ein Kleidungsstück nach dem anderen, bis alles auf einem feuchten, müffelnden Haufen auf der abgewetzten Bastmatte lag. Schließlich entschied er sich für das geruchärmste Stück, ein klassisches amerikanisches Kurzarm-Hemd, und zog sich eine wadenlange abgeschnittene Jeans ohne Unterhose an, so dass er sich kühn und draufgängerisch vorkam. Ein Abenteurer, ein Pionier.
    Dann fiel sein Blick auf den Brief. Sechs blaue, dicht und beidseitig beschriebene Blätter. Dexter starrte ihn an, als hätte ihn ein Eindringling zurückgelassen, und mit der Nüchternheit kamen ihm erste Zweifel. Zögernd nahm er ihn, überflog aufs Geratewohl eine Seite und wandte dann hastig mit fest zusammmengepressten Lippen den Blick ab. All die Großbuchstaben, Ausrufezeichen und schlechten Witze. Er hatte sie »sexy« genannt und den Ausdruck »Exkursivität« benutzt, was noch nicht mal ein richtiges Wort war. Der Brief klang eher nach einem poesieliebenden Abiturienten als nach einem Pionier, einem Abenteurer mit rasiertem Kopf, einem Tattoo und ohne Unterwäsche. Ich werde dich finden, ich habe an dich gedacht, Dex und Em, Em und Dex – was hatte er sich dabei gedacht? Was vor einer Stunde noch dringlich und ergreifend geklungen hatte, wirkte jetzt kitschig, linkisch, stellenweise geradezu verlogen: Es hatte keine Gottesanbeterin an der Wand gegeben, und er hatte beim Schreiben auch nicht ihre Kassette gehört, denn er hatte in Goa seinen Kassettenrekorder verloren. Der Brief würde mit Sicherheit alles verändern, und war denn nicht alles gut, wie es war? Wollte Dexter wirklich, dass Emma zu ihm nach Indien kam, über sein Tattoo lachte und scharfzüngige Bemerkungen machte? Musste er sie am Flughafen küssen? Mussten sie sich ein Bett teilen? Wollte er sie wirklich so oft sehen?
    Ja, er wollte. Trotz des offensichtlichen Schwachsinns lag echte Zuneigung, ja mehr als Zuneigung in dem Brief, und er würde ihn definitiv noch heute Abend abschicken. Wenn sie überreagierte, konnte er sich immer noch damit herausreden, dass er betrunken gewesen war. Wenigstens

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