Zwei an Einem Tag
erwischt, das ist alles.« Sie schüttelte energisch den Kopf. »Siehst du, schon vorbei, alles wieder gut. Schwamm drüber.«
»Und, was hältst du davon? Die Leitung zu übernehmen?«
»Kann ich drüber nachdenken? Dir morgen Bescheid geben?«
Scott lächelte milde und nickte. »Nur zu! Mach eine Pause …« Er deutete zur Tür und fügte voller Mitgefühl hinzu: »Nimm dir ein paar Nachos.«
Im leeren Personalraum starrte Emma einen Teller mit dampfenden Käse-Mais-Chips an wie einen Feind, den es zu besiegen galt.
Plötzlich stand sie auf, ging zu Ians Schließfach und wühlte in den dicht gepackten Kleidern, bis sie Zigaretten fand. Sie nahm eine heraus, zündete sie an, hob dann die Brille an, inspizierte ihre Augen in dem gesprungenen Spiegel und leckte sich den Finger an, um die verräterischen Tränenspuren wegzuwischen. Emma trug das Haar jetzt lang, in einer undefinierbaren Frisur und einer Farbe, die sie »Strähniges Mausgrau« getauft hatte. Sie zog eine Strähne aus dem Haargummi, ließ sie durch Daumen und Zeigefinger gleiten und wusste, wenn sie sie wusch, würde das Shampoo grau werden. Großstadthaar. Sie war blass von zu vielen Spätschichten und hatte zugenommen; seit ein paar Monaten zog sie sich Röcke über den Kopf an. Daran musste all das gebratene Bohnenmus schuld sein; einmal gebraten, zweimal gebraten. »Fettes Mädchen«, dachte sie. »Dummes, fettes Mädchen« gehörte zusammen mit »Ein Drittel deines Lebens verschwendet« und »Wozu das alles?« zu den Sprüchen, die ihr jetzt ständig durch den Kopf gingen.
Mit Mitte zwanzig erlebte Emma eine zweite Pubertät, die noch ichbezogener und düsterer war als die erste. »Warum kommst du nicht nach Hause, Schatz?«, hatte ihre Mutter in einem Telefongespräch am Vorabend mit bebender, besorgter Stimme gesagt, als sei ihre Tochter von zu Hause ausgerissen. »Dein Zimmer ist noch da. Im Debenhams-Kaufhaus gibt es Jobs«, und zum ersten Mal war sie versucht gewesen, es zu tun.
Früher hatte sie geglaubt, London erobern zu können. Vor ihrem geistigen Auge hatte sie ein wildes Karussell literarischer Salons, politischen Engagements, lustiger Partys und bittersüßer Romanzen am Ufer der Themse gesehen. Sie hatte vorgehabt, eine Band zu gründen, Kurzfilme zu drehen, Romane zu schreiben, aber nach zwei Jahren war ihr schmales Gedichtbändchen immer noch nicht dicker, und seit dem Schlagstockangriff bei den Protesten gegen die Kopfsteuer war ihr nichts Interessantes mehr passiert.
Die Stadt hatte Emma besiegt, genau wie alle vorausgesagt hatten. Wie auf einer überfüllten Party hatte niemand ihre Ankunft bemerkt, und niemandem würde auffallen, wenn sie wieder ging.
Sie hatte es versucht. Der Traum, im Verlagsgeschäft zu arbeiten, war zerplatzt. Ihre Freundin Stephanie Shaw hatte dort gleich nach dem Abschluss einen Job ergattert, der sie zu einem völlig neuen Menschen machte. Kein Lager-oder Schwarzbier mehr für Stephanie Shaw. Heute trank sie Weißwein, trug adrette Kostümchen von Jigsaw und reichte auf ihren Dinnerpartys teure Kettle-Chips. Auf ihren Rat hin hatte Emma Bewerbungen an Verlage, Agenten und schließlich Buchhandlungen geschrieben, ohne Erfolg. Wegen der Rezession klebten alle grimmig entschlossen an ihren Sesseln. Sie überlegte, sich in die Pädagogik zu flüchten, aber die Regierung gewährte keine Stipendien mehr, und sie konnte sich die Studiengebühren auf keinen Fall leisten. Sie dachte an ehrenamtliche Arbeit, z.B. für Amnesty International, aber Miete und Fahrtkosten fraßen all ihr Geld, und das Loco Caliente fraß all ihre Zeit und Energie. Ihr kam die ausgefallene Idee, Blinden aus Romanen vorzulesen, aber war das wirklich ein Beruf oder nur etwas, das sie im Kino gesehen hatte? Wenn sie irgendwann die Energie aufbrächte, würde sie es herausfinden. Im Augenblick würde sie nur am Tisch sitzen und ihr Mittagessen anstarren.
Der Fabrikkäse war hart wie Plastik geworden, und in einem plötzlichen Anflug von Ekel schob Emma das Essen von sich, griff in ihre Tasche und nahm ein teures, neues, schwarzes Ledernotizbuch mit einem dicken Füllfederhalter am Einband heraus. Sie schlug eine leere, cremeweiße Seite auf und kritzelte los.
Nachos
Die Nachos waren schuld.
Ein dampfendes, fleckiges Chaos, wie das Chaos ihres Lebens
Sinnbild all dessen, was falsch lief
In
Ihrem
Leben.
»Zeit für Veränderung«, tönt es von der Straße.
Draußen auf der Kentish Town Road
Wird gelacht
Doch hier, in der verrauchten
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