Zwei an Einem Tag
Gemeinschaftskühlschränken ausgestatteten Großraumbüros.
Sein Aufstieg in dieser Welt war kometenhaft gewesen. Die Frau aus dem Zug in Indien mit der glänzenden schwarzen Bobfrisur und der winzigen Brille hatte ihm zuerst einen Job als Laufbursche, dann als Rechercheur gegeben, und jetzt war er Assistant Producer, Asst. Prod., bei UP 4 IT, einem Wochenendmagazin, das Livemusik und kontroverse Stand-up-Nummern mit Reportagen mischte, »die Jugendliche von heute wirklich angehen«: sexuell übertragbare Krankheiten, Drogen, Technomusik, Drogen, Polizeigewalt und Drogen. Dexter produzierte hyperaktive Filmchen von trostlosen, aus schrägen Winkeln mit Fischaugenobjektiv aufgenommenen Wohnsiedlungen, über denen zu Acid House die Wolken unnatürlich schnell dahinjagten. Man sprach sogar davon, ihn in der nächsten Staffel vor die Kamera zu holen. Er war herausragend, er war auf dem Höhenflug, und allem Anschein nach hatte er ausgezeichnete Chancen, seine Eltern stolz zu machen.
»Ich arbeite beim Fernsehen« – allein es zu sagen, ging ihm runter wie Öl. Dexter fand es geil, mit einer Versandtasche voller Videokassetten die Berwick Street entlang zu einem Schneideraum zu spazieren und Leuten zuzunicken, die genauso waren wie er. Er mochte die Tabletts voller Sushi und die Premierenpartys, er trank gern aus Wasserspendern, bestellte Eilboten und sagte Dinge wie »Wir müssen sechs Sekunden loswerden«. Insgeheim gefiel ihm die Tatsache, dass es eine der attraktiveren Branchen war, in denen Wert auf Jugendlichkeit gelegt wurde. In dieser schönen neuen TV-Welt lief man niemals Gefahr, in einen Konferenzraum zu marschieren und eine Gruppe 62-Jähriger beim Brainstorming anzutreffen. Was passierte mit Fernsehleuten, wenn sie ein gewisses Alter erreichten? Wohin verschwanden sie? Egal, er fands gut, genau wie die Vormachtstellung von jungen Frauen wie Naomi: hart, ehrgeizig und großstädtisch. In den seltenen Momenten des Selbstzweifels befürchtete Dexter früher, sein Mangel an Intellekt könne sich als hinderlich erweisen. Aber in diesem Beruf zählten Selbstbewusstsein, Tatkraft, vielleicht sogar eine gewisse Überheblichkeit, und all das besaß er zu Genüge. Klar, man musste klug sein, jedoch nicht so klug wie Emma. Nur clever, scharfsinnig und ehrgeizig.
Auch seine neue Wohnung im nahe gelegenen Belsize Park, ganz in dunklem Holz und Stahl gehalten, fand er geil, genau wie London, das an diesem St.-Swithins-Tag gewaltig und verschwommen vor ihm lag. All die Aufregung wollte er mit Emma teilen, ihr neue Möglichkeiten, neue Erfahrungen, neue Gesellschaftskreise erschließen, damit ihr Leben mehr wie seines wurde. Wer weiß, vielleicht freundeten Naomi und Emma sich sogar an.
Beruhigt von dem Gedanken und kurz vorm Einnicken, wachte er auf, als ein Schatten auf sein Gesicht fiel. Er öffnete ein Auge und sah blinzelnd auf.
»Hallo, Schönheit.«
Emma trat ihn fest gegen die Hüfte.
»Aua!«
»Wehe, wehe , du machst das noch mal!«
»Was denn?«
»Das weißt du genau! Als wäre ich im Zoo, du piekst mich mit einem Stock, lachst dich halb tot …«
»Ich hab nicht über dich gelacht!«
»Ich hab euch doch gesehen, du lagst praktisch auf deiner Freundin, und ihr habt euch ’nen Ast gelacht …«
»Sie ist nicht meine Freundin, und wir haben über die Speisekarte gelacht …«
»Ihr macht euch über meinen Arbeitsplatz lustig.«
»Na und? Du doch auch!«
»Ja, aber ich arbeite da. Ich lache dem Elend ins Gesicht, ihr lacht mich aus!«
»Em, so was würde ich niemals …«
»So fühlt es sich aber an.«
»Das wollte ich nicht.«
»Gut.« Sie setzte sich neben ihn und zog die Beine unter sich. »Jetzt knöpf dir das Hemd zu und gib mir die Flasche.«
»Sie ist wirklich nicht meine Freundin.« Er machte drei der unteren Knöpfe zu und wartete darauf, dass sie anbiss. Als sie nicht reagierte, legte er einen neuen Köder aus. »Wir vögeln nur manchmal, das ist alles.«
Als die Chancen auf eine Beziehung schwanden, hatte Emma versucht, sich mit Dexters Gleichgültigkeit abzufinden, und heute schmerzte sie eine derartige Bemerkung nicht mehr als ein Tennisball, der sie mit voller Wucht am Hinterkopf traf. Sie zuckte kaum mehr mit der Wimper. »Wie schön, freut mich für euch.« Sie goss Wein in einen Plastikbecher. »Wenn sie nicht deine Freundin ist, wie soll ich sie dann nennen?«
»Weiß nicht. ›Geliebte‹?«
»Hat das nicht was mit Zuneigung zu tun?«
»Wie wärs mit ›Eroberung‹?«,
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