Zwei an Einem Tag
sie liebt, wie sexy sie ist, wenn sie es nur glauben würde, warum soll er es nicht tun und abwarten, was passiert, und wenn es nicht klappt, wenn sie nur herumsitzen und reden, ist das immer noch besser, als heute Nacht alleine zu bleiben. Egal, was kommt, er darf nicht alleine sein …
Er hat das Telefon schon in der Hand, aber zum Glück schlägt Biggsy oder Gibbsy vor, in seine Wohnung zu gehen, es sei nicht weit, und sie verlassen geschlossen den Club und machen sich in der Sicherheit der Gruppe auf den Weg in die Coldharbour Lane.
Die Wohnung besteht aus einem einzigen großen Raum über einem Pub. Küche, Bad, Wohn-und Schlafzimmer sind nicht durch Wände abgetrennt, das einzige Zugeständnis an Privatsphäre ist der halbdurchsichtige Duschvorhang um das freistehende Klo. Während Biggsy die Musik aussucht, fläzen sich die anderen in einem einzigen Gewirr auf das riesige Himmelbett mit den gewollt geschmacklosen Tigerfellen und schwarzen Synthetik-Laken. Über dem Bett hängt ein extrakitschiger Spiegel, sie starren mit schweren Lidern hinauf, bewundern sich beim Musikhören, wie sie, den Kopf im Schoß des anderen, ausgebreitet daliegen, sich an den Händen fassen, sie sind jung und smart, attraktiv und erfolgreich, haben einen vernebelten Verstand, aber den Durchblick, und alle denken, wie toll sie aussehen und was für gute Freunde sie von jetzt an sein werden. Es wird Picknicks im Hampstead Heath und lange, faule Sonntage im Pub geben, und Dexter fühlt sich wieder prächtig. »Du bist fantastisch«, sagt irgendjemand, zu wem, ist egal, denn fantastisch sind sie alle. Menschen sind fantastisch.
Unbemerkt vergehen Stunden. Jemand spricht über Sex, und bald übertreffen sie sich gegenseitig mit intimen Geständnissen, die sie am Morgen bereuen werden. Es wird geknutscht, Tara fummelt ihm wieder am Nacken herum, bohrt ihm die harten, kleinen Finger in den Rücken, aber der Drogenrausch ist verflogen, die vormals entspannende Massage fühlt sich jetzt an wie eine Reihe von Stichen und Stößen, und als er zu ihr hochschaut, wirkt das kleine Elfengesicht plötzlich abgehärmt und bedrohlich wie das eines kleinen haarlosen Säugetiers, der Mund ist zu breit, die Augen zu rund. Dexter fällt auf, dass sie älter ist, als gedacht, – mein Gott, mindestens 38 – und eine Art weißer Paste zwischen den kleinen Zähnen hat, wie Dichtungsmasse. Er kann die nackte Angst vor dem angebrochenen Tag nicht länger unterdrücken, sie kriecht ihm den Rücken hoch, und vor lauter Panik, Grauen und Scham bricht ihm klebriger, chemischer Schweiß aus. Zitternd setzt er sich auf und fährt sich mit beiden Händen langsam über das Gesicht, als wollte er etwas wegwischen.
Allmählich wird es hell. Amseln singen in der Coldharbour Lane, und er hat das lebhafte Gefühl – eine Halluzination fast –, von innen hohl zu sein; leer wie ein Osterei. Dank Tara der Masseurin ist sein Nacken steinhart und verspannt, die Musik ist verstummt, jemand auf dem Bett verlangt Tee, alle wollen Tee, Tee, Tee, und Dexter macht sich los, geht zum riesigen Kühlschrank hinüber, der aussieht wie seiner, unheimlich und klinisch wie aus dem Genetiklabor. Er macht die Tür auf und starrt ausdruckslos hinein. Ein Salat verfault in der Plastikverpackung, die kurz vorm Bersten ist. Er verdreht die Augen, die Sicht verschwimmt, und als sein Blick wieder klar wird, entdeckt er eine Wodkaflasche. Hinter der Kühlschranktür verborgen trinkt er gut drei Fingerbreit und spült mit einem Schluck saurem Apfelsaft nach, der widerlich auf der Zunge prickelt. Er verzieht das Gesicht, schluckt den Saft und seinen Kaugummi gleich mit. Wieder ruft jemand nach Tee. Er findet die Milchpackung, hält sie abwägend in der Hand und hat eine Idee.
»Milch ist alle!«, ruft er.
»Kann nicht sein«, ruft Gibbsy oder Biggsy.
»Doch. Leer. Ich geh schnell welche kaufen.« Er stellt die volle, ungeöffnete Packung zurück in den Kühlschrank. »Bin in fünf Minuten zurück. Braucht jemand noch was? Zigaretten? Kaugummi?« Seine neuen Freunde antworten nicht, deshalb geht er leise hinaus, stolpert die Treppe hinunter, stürmt atemlos durch die Tür auf die Straße und rennt los, um diese fantastischen Leute nie wieder zu sehen.
Auf der Electric Avenue findet er eine Taxizentrale. Als die Sonne am 15. Juli 1993 um 5:01 Uhr aufgeht, ist Dexter Mayhew schon in der Hölle.
Emma Morley ernährt sich gut und trinkt nur mäßig. Sie schläft gute acht Stunden am Tag, wacht
Weitere Kostenlose Bücher