Zwei an Einem Tag
gingen in Richtung Stadt, als ihnen in einer engen Seitengasse plötzlich das Paar vom Strand über den Weg lief, das sich mit vom Alkohol und der Sonne geröteten Gesichtern betrunken aneinanderklammerte und die Stufen zum Hafen hinunterwankte. Fassungslos starrten sie Dexters blauen Plastik-Minirock an.
»Bin ausgeraubt worden«, erklärte er knapp.
Das Paar nickte mitfühlend, quetschte sich an ihnen vorbei, und die Frau blieb kurz stehen und rief ihnen nach:
»Netter Sack.«
»Von Helmut Lang«, sagte Emma, und Dexters Augen wurden schmal ob dieses Verrats.
Er schmollte auf dem gesamten Heimweg, und zurück im Zimmer war die Tatsache, dass sie sich ein Bett teilten, plötzlich Nebensache geworden. Emma ging ins Bad und zog sich ein altes graues T-Shirt an. Als sie herauskam, lag der blaue Kohlensack am Fußende auf dem Boden. »Häng ihn lieber auf«, sagte sie und stupste den Sack mit dem Zeh an. »Er knittert sonst.«
»Ha«, sagte er, in frischer Unterwäsche auf dem Bett liegend.
»Ist sie das?«
»Was?«
»Die berühmte 30-Pfund-Unterhose. Ist die hermelingefüttert?«
»Lass uns schlafen, ja? Also – welche Seite?«
»Die hier.«
Sie lagen auf dem Rücken nebeneinander, und Emma genoss das Gefühl kühler weißer Laken auf der Haut.
»Schöner Tag«, sagte sie.
»Bis auf den letzten Teil«, murmelte er.
Sie drehte sich zu ihm, betrachtete sein Profil, während er trotzig an die Decke starrte. Sie stieß ihn mit dem Fuß an. »Waren doch bloß ’ne Hose und ’ne Unterhose. Ich kauf dir neue. Einen hübschen Feinripp-Dreierpack.« Dexter schniefte, sie nahm unter der Decke seine Hand und drückte sie fest, bis er den Kopf drehte, um sie anzusehen. »Ehrlich, Dex«, lächelte sie, »ich freue mich riesig, hier zu sein. Ich genieße es sehr.«
»Ja. Ich auch«, murmelte er.
»Noch acht Tage«, sagte sie.
»Noch acht Tage.«
»Hältst du das aus?«
»Wer weiß?« Er lächelte sie liebevoll an und, so oder so, alles war wieder beim Alten. »Und, wie viele Regeln haben wir heute Abend gebrochen?«
Sie dachte kurz nach. »Eins, zwei und vier.«
»Na, wenigstens haben wir nicht Scrabble gespielt.«
»Morgen ist auch noch ein Tag.« Sie streckte den Arm aus, löschte das Licht und drehte ihm den Rücken zu. Alles war wie vorher, und sie war sich nicht sicher, ob ihr das gefiel. Einen Augenblick fürchtete sie, vor lauter Grübelei über den Tag nicht schlafen zu können, aber zu ihrer Erleichterung wurde sie schon bald von Müdigkeit übermannt, und der Schlaf kroch ihr in die Glieder wie ein Betäubungsmittel.
Dexter starrte im bläulichen Licht an die Decke und dachte, dass er sich heute Abend nicht von seiner besten Seite gezeigt hatte. Mit Emma zusammen zu sein, erforderte ein gewisses Benehmen, und dem fühlte er sich nicht immer gewachsen. Er drehte sich zu Emma um, deren Haar nun den Nacken freigab und deren frischgebräunte dunkle Haut sich von den weißen Laken abhob, und überlegte, ihr die Hand auf die Schulter zu legen und sich zu entschuldigen.
»Nacht, Dex«, murmelte sie, solange sie noch sprechen konnte.
»Nacht, Em«, erwiderte er, aber sie war schon eingeschlafen.
Noch acht Tage, dachte er, acht ganze Tage. In acht Tagen konnte fast alles passieren.
ZWEITER TEIL
1993–1995
Ende zwanzig
Wir gaben so viel Geld aus, wie wir konnten, und bekamen dafür so wenig, wie die Leute uns nach reiflicher Überlegung geben konnten. Immer waren wir mehr oder weniger arm dran, und die meisten unserer Bekannten befanden sich in derselben Lage. Wir lebten in der fröhlichen Einbildung, dass wir uns ununterbrochen amüsierten, und mit der nackten Wahrheit, dass wir es niemals taten. Wenn ich ehrlich sein soll, glaube ich, dass unser Fall letzten Endes ganz alltäglich war.
Charles Dickens, Große Erwartungen
KAPITEL SECHS
Chemie
Donnerstag, 15. Juli 1993
Teil eins – Dexters Geschichte
Brixton, Earls Court und Oxfordshire
Tag und Nacht neigen in letzter Zeit dazu, nahtlos ineinander überzugehen. Altmodische Begriffe wie früh und spät sind überholt, und Dexter erlebt wesentlich mehr Sonnenaufgänge als früher.
Am 15. Juli 1993 geht um 5:01 Uhr die Sonne auf. Dexter beobachtet es vom Rücksitz des klapprigen Taxis, das ihn von der Wohnung eines Fremden in Brixton nach Hause bringt. Nicht unbedingt ein Fremder, aber ein ganz neuer Freund, einer von vielen, die er in letzter Zeit kennenlernt, ein Grafikdesigner namens Gibbs oder Gibbsy, oder vielleicht auch Biggsy, und seine
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