Zwei an Einem Tag
pünktlich kurz vor halb sieben von selbst auf und trinkt ein großes Glas Wasser, den ersten Viertelliter von insgesamt anderthalb Litern pro Tag, den sie aus einer funkelnagelneuen Karaffe in ein dazu passendes Glas gießt, das in der strahlenden Morgensonne neben dem warmen, sauberen Doppelbett steht. Eine Karaffe. Sie hat tatsächlich eine Karaffe. Kaum zu glauben.
Eigene Möbel hat sie jetzt auch. Mit 27 ist sie zu alt, um wie eine Studentin zu hausen, und beim Sommerschlussverkauf in einem Geschäft für Kolonialstilmöbel in der Tottenham Court Road hat sie ein breites, schmiedeeisernes Bett mit Korbgeflecht erstanden. Es trägt den Markennamen »Tahiti« und nimmt fast das gesamte Schlafzimmer der Wohnung unweit der Earls Court Road ein. Emma hat eine Daunendecke, und die Laken sind aus ägyptischer Baumwolle, der besten der Welt, wie ihr die Verkäuferin versichert hat, und all das ist Ausdruck einer neuen Ära der Ordnung, Unabhängigkeit und Reife. Sonntagmorgens faulenzt sie allein auf »Tahiti« wie auf einem Floß und hört sich Porgy und Bess, Mazzy Star, alte Tom-Waits-Songs und eine seltsam knisternde Schallplatte mit Bachs Cellosuiten an. Während sie mit ihrem besten Füller kleine Beobachtungen und Ideen für Geschichten auf die blütenweißen Seiten eines teuren Notizbuchs schreibt, trinkt sie literweise Kaffee. Manchmal, wenn es schlecht läuft, fragt sie sich, ob ihre Liebe zum geschriebenen Wort nicht nur ein Büroartikelfetisch ist. Der wahre, geborene Schriftsteller schreibt auch auf Papierschnipsel, die Rückseite von Bustickets oder die Wände einer Gefängniszelle. Aber mit Papier, das leichter ist als 120 g/m2, kann Emma nichts anfangen.
Es gibt allerdings auch Zeiten, in denen sie stundenlang glücklich, zufrieden und allein in ihrer Zweizimmerwohnung vor sich hinkritzelt, als seien die Worte immer da gewesen. Sie fühlt sich nicht einsam, oder zumindest selten. An vier Tagen in der Woche geht sie aus und könnte es öfter tun, wenn sie wollte. Alte Freundschaften bleiben bestehen, und es gibt neue mit Lehramtskommilitonen. Am Wochenende nutzt sie die Veranstaltungstipps voll aus, bis auf den Clubteil, der genausogut auf Chinesisch verfasst sein könnte, weil ständig davon die Rede ist, zu heißen Tunes auf Floors abzuzappeln. Vermutlich wird sie nie im BH in einem Raum voller Schaum tanzen, aber das ist in Ordnung. Stattdessen geht sie mit Freunden in Kleinkunstkinos und Galerien, manchmal mieten sie sich ein Ferien-Cottage, unternehmen ausgedehnte Wanderungen auf dem Land und tun so, als lebten sie dort. Oft wird ihr gesagt, dass sie besser aussieht und mehr Selbstvertrauen ausstrahlt als früher. Samthaargummis, Zigaretten und Fast Food sind Schnee von gestern. Nun besitzt sie eine Kaffeekanne und überlegt zum ersten Mal in ihrem Leben, in eine Duftmischung zu investieren.
Der Radiowecker springt an, aber Emma erlaubt sich, im Bett liegen zu bleiben und die Nachrichten zu hören. John Smith ist im Konflikt mit den Gewerkschaften, und sie ist hin und her gerissen, denn sie mag John Smith, der einen anständigen Eindruck macht, wie ein weiser Schuldirektor. Sogar sein Name klingt nach einem soliden, prinzipientreuen Mann aus dem Volke, und sie überlegt zum wiederholten Mal, der Labour-Partei beizutreten; das könnte ihr schlechtes Gewissen beruhigen, weil sie nicht mehr an der Kampagne für nukleare Abrüstung teilnimmt. Noch sympathisiert sie mit ihren Zielen, aber uneingeschränkte nukleare Abrüstung zu fordern, erscheint ihr mittlerweile doch leicht naiv, ein bisschen so, wie den Weltfrieden zu verlangen.
Wird sie langsam alt, mit 27? Früher war sie stolz darauf, immer nur einen Standpunkt gelten zu lassen, aber jetzt akzeptiert sie mehr und mehr, dass die meisten Probleme vielschichtiger und komplexer sind als gedacht. Jedenfalls hat sie keine Ahnung, worum es bei den nächsten beiden Themen geht, dem Maastrichter Vertrag und dem Jugoslawienkrieg. Sollte sie nicht irgendeine Meinung haben, Partei ergreifen, irgendwas boykottieren? Bei der Apartheid wusste man wenigstens, woran man war. Trotzdem, in Europa herrscht Krieg, und sie persönlich hat keinen Finger gerührt, um ihn zu verhindern. Zu beschäftigt mit Möbelkaufen. Verunsichert schlägt Emma die neue Bettdecke zurück, schlüpft in die schmale Lücke zwischen Bett und Wand, schiebt sich seitlich zum Flur und geht in das winzige Badezimmer, wo sie nicht mehr warten muss, seit sie allein lebt. Sie wirft ihr T-Shirt
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