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Zwei auf Achse

Zwei auf Achse

Titel: Zwei auf Achse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schrader
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sein“, sagte er, „und man fürchtet sie zu Recht, aber sie sind niemals gegen einzelne Menschen oder Menschengruppen gerichtet. Was jedoch im Kriege lärmt und donnert, soll Tod und Schmerzen unter den Menschen verbreiten. Jede Detonation, jedes Heulen und Krachen gilt mir und dir und unseren Kameraden.“ Lutz beugte sich vor und streichelte Ferdinand, der ihn aus halbgeschlossenen Augen anblinzelte.
    „Hoffentlich gibt es nie wieder Krieg“, sagte er leise, „nie wieder!“
    „An dem Tage meiner Verwundung“, fuhr Herr Tepel fort, „hockte ich mit drei oder vier anderen Soldaten in einem Granattrichter mitten auf der Dorfstraße, zitternd vor Angst und zu Tode erschöpft. Um uns herum zerbarsten die Geschosse, die Luft war erfüllt vom Krachen und Dröhnen der Explosionen, und die Erde schwankte bei jedem neuen Einschlag. Weil ich, wie die meisten anderen Soldaten, fest davon überzeugt war, daß man in einem Granattrichter am sichersten ist, da angeblich niemals eine zweite Granate genau in den Trichter einer anderen einschlägt, blieb ich am Grunde des Erdlochs liegen und machte keinen Versuch, durch einen schnellen Sprunglauf in eins der Häuser vielleicht mehr Sicherheit zu erlangen. Plötzlich spürte ich einen heftigen Schlag gegen den Kopf, sah bunte Ringe vor den Augen und verlor die Besinnung. Als ich wieder zu mir kam, waren Tage vergangen. Ich lag in einem Feldbett, hatte einen großen Verband um den Kopf und das rechte Bein in Gips. Na also, hörte ich einen jungen Arzt in Uniform sagen, er schafft es!“
    „Hm“, sagte Joachim, „ist ja eigentlich ein Glück, daß man tagelang in so einem gewissen Tiefschlaf liegt und gar nicht mitkriegt, was mit einem geschieht. Wenn man aufwacht, hat man das Schlimmste schon überstanden.“ Herr Tepel sah ihn an und schüttelte den Kopf.
    „Das ist leider nicht bei allen Verwundungen so, mein Junge. Manch ein Verletzter bleibt hellwach und windet sich stundenlang in den unerträglichsten Schmerzen. Die in den Bauch Getroffenen sind am bösesten dran. Oft ist ein schneller Tod noch das Beste, was ihnen widerfahren kann. Ich hatte tatsächlich Glück. Wer mich ins Lazarett gebracht hatte, und was aus den Kameraden geworden war, die mit mir in dem Granattrichter gelegen hatten, wußte ich nicht. Ich weiß es bis heute nicht. Ich stellte nur mit unsäglicher Erleichterung fest, daß für mich der Krieg vorbei war. Erst Wochen später, nachdem ich längst in die Heimat verlegt worden war und dort wieder Menschen sah, die nicht kämpften und keine Uniform trugen, begriff ich, wie schwer es mich erwischt hatte. Ein Auge fehlte, ein Bein war steif, ein Teil der Schädeldecke an der Stirnseite war weggerissen. Ich erkannte mich, verstümmelt wie ich war, im Spiegel selbst nicht wieder. Ein Wunder, daß ich überhaupt noch lebte!“
    „Vermutlich wurden Sie von ausgezeichneten Ärzten behandelt“, sagte Joachim. „Man hört doch manchmal von so Wunderdoktoren, die einen Menschen, der nur noch aus Einzelteilen besteht, wieder zusammenflicken.“
    „Das kann ich nicht beurteilen“, antwortete Herr Tepel. „Vielleicht waren es auch unerfahrene Ärzte, die meisten waren ja noch sehr jung und lernten den Umgang mit Skalpell und Knochensäge erst an der Front. Möglicherweise hätte ein geschickterer Chirurg mir das Auge oder das Bein retten können.“
    Er machte ein Pause, nahm die Taschenlampe und leuchtete damit die Zimmerdecke ab, um festzustellen, ob der immer heftiger niederprasselnde Regen inzwischen einen Weg durch die Dachschindeln und den weißen Verputz gefunden hätte. Aber noch tropfte es nirgends. Nur an einer Stelle war ein faustgroßer Wasserfleck zu sehen. Die Jungen, von der Erzählung ergriffen, beobachteten ihn schweigend. Schließlich fragte Lutz: „Hatten Sie denn keine Schmerzen? So schwere Verletzungen müssen doch furchtbar weh tun?“
    Herr Tepel stopfte seine Pfeife, holte sich mit einem Holzspan Feuer aus dem Herd und zündete sie an. „Schmerzen?“ wiederholte er. „Ja, die hatte ich auch. Aber die wurden von Tag zu Tag geringer. Was mich viel mehr beunruhigte, war die Tatsache, daß ich von Zeit zu Zeit Gedächtnis- oder Bewußtseinsausfälle hatte. An manchen Tagen wußte ich plötzlich nicht mehr, wer ich war, und wo ich mich befand.“
    „Oh, das kenn’ ich!“ rief Joachim. „Ich hatte mal eine Gehirnerschütterung, bin mal die Treppe ‘runtergefallen, da war das auch ganz blöd. Ich dachte immer, ich wäre oben auf den

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