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Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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und wenn, dann zu unvorhersagbaren Zeiten. Ich hatte keine Ahnung, wie ich den Plesiosaurier sehen konnte, ohne ihr zu begegnen. Einer Konfrontation mit ihr fühlte ich mich nicht mehr gewachsen. Es war zu lange her. Ich wollte nicht mehr über das Gefühl der Überlegenheit nachdenken, das sie mich hatte spüren lassen. Diese Wunde sollte nicht erneut aufbrechen.
    Doch am Sonntag bot sich mir eine unerwartete Gelegenheit. Wir gingen die Coombe Street entlang zur Kirche Sankt Michael, als ich vor uns die drei Annings die Kirche der Kongregationalisten betreten sah. Ich war es mittlerweile gewöhnt, Mary aus der Ferne zu sehen, und musste nicht mehr jedes Mal davonrennen, zumal auch sie ihr Bestes tat, mich zu ignorieren.
    In Sankt Michael setzte ich mich mit meinen Schwestern und Bessy in eine Bank. Während Reverend Jones betete, musste ich an das leere Haus der Annings denken, das nur eine Straßenecke entfernt lag.
    Ich begann zu husten, erst vereinzelte Anfälle, die sich dann immer mehr steigerten. Es klang, als hätte ich ein hartnäckiges Kratzen im Hals, das ich nicht loswurde. Unsere Banknachbarn rutschten bereits unruhig auf ihren Plätzen und schauten sich um, während Margaret und Louise mich sorgenvoll anblickten.
    «Die Kälte tut meinem Hals nicht gut», flüsterte ich Louise zu. «Ich gehe besser heim. Bleibt ihr ruhig da, ich komme schon zurecht.» Noch bevor Louise Einwände machen konnte, war ich ins Kirchenschiff getreten. Reverend Jones blickte mir nach, als ich wegeilte, und ich hätte schwören können, dass er es wusste: Fossilien waren mir wichtiger als der Kirchgang.
    Draußen entdeckte ich, dass mir Bessy gefolgt war. «Ach, Bessy, du musst nicht mit mir heimkommen», sagte ich. «Geh wieder rein.»
    Bessy schüttelte stur den Kopf. «Nein, Ma’am. Ich muss ja Feuer für Sie machen.»
    «Ich bin durchaus in der Lage, mir selbst Feuer zu machen. Du weißt doch genau, dass es an den Tagen, an denen ich vor dir auf den Beinen bin, auch geht.»
    Bessy schaute böse, es gefiel ihr nicht, dass ich ihr manchmal zuvorkam und sie beim Ausschlafen ertappte. «Miss Margaret hat gesagt, ich soll mitkommen», brummte sie.
    «Nun, dann geh wieder rein und sag Margaret, dass ich dich geschickt habe. Du willst doch sicher lieber bleiben, um später noch mit deinen Freunden zu plaudern?» Mir war aufgefallen, dass nach der Kirche unter den Dienstboten lebhaft geklatscht wurde.
    Ich sah, wie Bessy allmählich schwach wurde, doch ihr angeborenes Misstrauen war stärker. «Sie gehen doch nicht raus an den Strand, Miss Elizabeth?» Sie blickte mich mit kritisch zusammengekniffenen Augen an. «Das erlaube ich Ihnen nicht, nicht nach dieser Erkältung. Außerdem ist Sonntag!»
    «Natürlich nicht, es ist doch Hochwasser.» Ich hatte keine Ahnung, wie hoch die Flut wirklich stand.
    «Ach so.» Obwohl sie jetzt schon fast zwanzig Jahre in Lyme lebte, wusste Bessy so gut wie nichts über die Gezeiten. Ich redete ihr noch eine Weile gut zu, bis ich sie überzeugt hatte, zurück in die Kirche zu gehen.
    Da fast die ganze Stadt entweder in der Sonntagsmesse war oder noch schlief, lagen der Cockmoile Square und die Bridge Street verlassen da. Ich durfte nicht länger zögern, sonst würde man mich noch sehen oder ich den Mut verlieren. Ich eilte die Stufen zu Marys Werkstatt hinab, holte den Ersatzschlüssel unter dem losen Stein hervor, wo ihn Molly Anning immer versteckte, und schlüpfte hinein. Ich wusste, dass es nicht richtig war. Es war sogar viel schlimmer als das, was ich in London gemacht hatte, als ich mich zur Auktion bei Bullocks schlich. Doch ich konnte nicht anders.
    Ich hörte ein Winseln, und Tray kam angelaufen, um schwanzwedelnd meine Füße zu beschnüffeln. Nach einem kurzen Zögern streichelte ich ihn. Sein Fell war rau wie Kokosfaser, und er war über und über mit dem Staub des Blauen Lias bedeckt, ein echter Anning-Hund.
    Ich ging um ihn herum, um den Plesiosaurier zu sehen, der in Platten auf dem Boden ausgebreitet lag. Er war ungefähr drei Meter lang und halb so breit, die Spannweite seiner enormen, rautenförmigen Paddelknochen eingeschlossen. Einen Großteil der Länge machte sein schwanenartiger Hals aus, an dessen Ende sich ein überraschend kleiner, vielleicht zwölf bis vierzehn Zentimeter langer Schädel befand. Die ungewöhnliche Länge dieses Halses kam mir sinnlos vor. Gab es überhaupt Tiere, deren Hals länger als der Rest des Körpers war? Ich wünschte, ich hätte meinen

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