Zwei bemerkenswerte Frauen
Anatomieband von Cuvier dabeigehabt. Der Rumpf bestand aus einer fassförmigen Ansammlung von Rippen und ging in einen Schwanz über, der wesentlich kürzer als der Hals war. Alles in allem wirkte diese Kreatur auf mich genauso merkwürdig und anders, wie es der Ichthyosaurier mit seinem riesigen Auge getan hatte. Es machte mich schaudern, doch gleichzeitig musste ich lächeln, denn ich war plötzlich sehr stolz auf Mary. Welcher Ärger auch zwischen uns stehen mochte, ich freute mich, dass sie etwas gefunden hatte, das noch niemand vor ihr zu Gesicht bekommen hatte.
Ich ging um den Fund herum und sah mich satt, denn es war unwahrscheinlich, dass ich ihn jemals wiedersehen würde. Dann schaute ich mich in der Werkstatt um, in der ich früher einmal so viel Zeit verbracht hatte. Jetzt war ich schon seit Jahren nicht mehr hier gewesen, doch es hatte sich nichts verändert. Noch immer gab es kaum Möbel, jede Menge Staub und von Fossilien überquellende Kisten, die darauf warteten, dass sich jemand ihrer erbarmte. Auf einer dieser Kisten erblickte ich ein Bündel Papiere in Marys Handschrift. Ich warf einen Blick auf den obersten Bogen, dann nahm ich das ganze Bündel in die Hand und blätterte es durch. Es war die Kopie eines Aufsatzes über Marys Riesentiere, den Reverend Conybeare für die Geologische Gesellschaft geschrieben hatte. Er bestand aus neunundzwanzig Textseiten, hinzu kamen acht Seiten mit Illustrationen, die Mary allesamt peinlich genau kopiert hatte. Sie musste Wochen dafür gebraucht haben, in denen sie viele Nächte durcharbeitete. Ich selbst kannte diesen Aufsatz noch nicht und begann gleich hineinzulesen. Am liebsten hätte ich mir ihre Kopie ausgeliehen.
Doch ich konnte nicht den ganzen Tag hier unten in der Werkstatt stehen und lesen. Ich blätterte zum Ende des Aufsatzes vor, um die Schlussbemerkung zu lesen. Dort entdeckte ich am unteren Rand der Seite einen Satz in kleiner Schrift: «Wenn ich mal einen Aufsatz schreibe, dann soll er nur ein einziges Vorwort haben.»
Offensichtlich war Mary selbstbewusst genug, den umständlichen und langatmigen Stil von Reverend Conybeare zu kritisieren. Mehr noch, sie hatte vor, selbst wissenschaftliche Beiträge zu verfassen. Ich musste über ihre Kühnheit lächeln.
Da winselte Tray erneut. Die Tür ging auf und Joseph Anning stand im Eingang. Es hätte schlimmer kommen können. Wäre es Molly Anning gewesen, hätte ihr ursprüngliches Misstrauen mir gegenüber neue Nahrung bekommen. Und natürlich hätte es auch Mary sein können. Wie hätte ich mein Eindringen ihr gegenüber rechtfertigen sollen?
Doch auch so war es noch schlimm genug. Nur Diebe schleichen sich ungebeten in die Häuser anderer Leute. Selbst eine harmlose alte Jungfer durfte so etwas nicht tun. «Joseph, ich … ich … es tut mir so leid», stammelte ich. «Ich wollte nur sehen, was Mary gefunden hat. Und solange sie hier ist, kann ich nicht kommen, weil das für uns beide zu peinlich wäre. Trotzdem hätte ich mir nicht einfach aufsperren dürfen. Es ist unverzeihlich, und es tut mir leid.»
Wenn er nicht die Tür blockiert hätte, wäre ich auf der Stelle hinausgeeilt. Er stand mit dem Rücken zum Licht, so dass sein Gesicht im Schatten lag und ich den Ausdruck darin nicht erkennen konnte – wenn es denn einen hatte. Joseph Anning war kein Mensch, der Gefühle zeigte.
Einen Moment lang blieb er wie angewurzelt stehen. Als er dann zu mir vortrat, schaute er nicht so böse oder finster, wie man hätte erwarten können. Dafür war er zu höflich. Allerdings lächelte er auch nicht. «Ich bin zurück, um noch einen Schal für Mam zu holen. Ist kalt in der Kirche.» Seltsam, Joseph schien das Gefühl zu haben, mir eine Erklärung zu schulden. «Und, was halten Sie davon, Miss Philpot?», fragte er dann mit einem Nicken in Richtung Plesiosaurier.
Ich hatte nicht erwartet, dass er so sachlich reagieren würde. «Er ist wirklich außergewöhnlich.»
«Ich hasse ihn. Es ist unnatürlich. Ich bin froh, wenn er weg ist.» Das war durch und durch Joseph.
«Mr Buckland hat mir erzählt, er stehe in Kontakt zum Herzog von Buckingham, der ihn kaufen will.»
«Kann sein. Mary hat andere Pläne.»
Ich räusperte mich. «Aber nicht … Colonel Birch?» Ich fürchtete die Antwort.
Doch Joseph überraschte mich. «Nein, den hat Mary längst abgeschrieben. Sie weiß, dass er sie niemals heiraten wird.»
«Oh.» Ich hätte beinahe gelacht, so erleichtert war ich. «An wen dann?»
«Sie
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