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Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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schluckte ihr letztes Brotstück und leckte sich den Mund ab. «Mary liegt im Bett.»
    «O je, ist sie krank?», fragte Margaret.
    «Nein, sie ist nur dumm, mehr nicht. Hier.» Molly Anning zog einen zerknitterten Brief aus der Tasche und reichte ihn mir. Ich öffnete ihn, strich ihn glatt und erkannte auf den ersten Blick, dass er aus Paris kam. Die Worte «Plesiosaurier» und «Cuvier» sprangen mich an, aber ich zögerte, ihn zu lesen. Da Molly aber genau das von mir zu erwarten schien, blieb mir keine andere Wahl.
    Jardin du Roi
    Musée National d’Histoire Naturelle
    Paris
    Sehr geehrte Miss Anning,
    vielen Dank für Ihr Schreiben an Baron Cuvier, mit dem Sie dem Museum ein von Ihnen in Lyme Regis gefundenes Fossil zum Kauf anbieten, das Sie für das weitgehend vollständige Skelett eines Plesiosauriers halten. Baron Cuvier hat die Zeichnung, die Sie beigelegt haben, mit Interesse studiert und ist zu der Ansicht gekommen, dass Sie zwei verschiedene Tiere zusammengefügt haben, vielleicht den Kopf einer Seeschlange mit dem Körper eines Ichthyosauriers. Das Wirbeldurcheinander direkt unterhalb des Kopfes scheint auf die Schnittstelle zwischen den beiden Tieren hinzuweisen.
    Baron Cuvier ist der Ansicht, dass die Zusammensetzung des angeblichen Plesiosauriers von den anatomischen Gesetzen abweicht, die er selbst aufgestellt hat. Insbesondere sind es zu viele Halswirbel für ein solches Lebewesen. Die meisten Reptilien haben zwischen drei und acht Halswirbel; bei der Kreatur in Ihrer Zeichnung hingegen scheinen es mindestens dreißig zu sein.
    Angesichts der von Baron Cuvier geäußerten Zweifel an dem Fossil sehen wir von einem Kauf ab. Wir bitten Sie und Ihre Familie, in Zukunft beim Sammeln und der Präsentation von Fossilien mehr Sorgfalt walten zu lassen.
    Hochachtungsvoll,
    Joseph Pentland Esq.
    Assistent von Baron Cuvier
    Ich warf den Brief auf den Tisch. «Das ist eine Unverschämtheit.»
    «Was steht drin?», rief Margaret, die ein Faible für Dramatik hatte und wie gebannt war.
    «Georges Cuvier hat eine Zeichnung von Marys Plesiosaurier gesehen und wirft den Annings jetzt eine Fälschung vor. Er hält die Anatomie des Tieres für unmöglich und meint, Mary habe vielleicht zwei verschiedene Exemplare zusammengesetzt.»
    «Und jetzt ist das dumme Mädchen beleidigt und sagt, der Franzose hat ihren Ruf als Fossilienjägerin ruiniert», erklärte Molly Anning. «Sie liegt im Bett und will nicht mehr aufstehen. Wozu soll sie Kuris suchen, sagt sie, wenn die keiner mehr von ihr kaufen will? Es ist genauso schlimm wie damals, als sie auf Post von Colonel Birch gewartet hat.» Molly Anning blickte mich von der Seite an, um meine Reaktion abzuschätzen. «Ich wollte Sie um Hilfe bitten, damit wir sie wieder aus dem Bett rauskriegen.»
    «Aber …» Warum ausgerechnet mich, wollte ich fragen. Warum fragte sie nicht jemand anderes? Aber wen sonst hätte sie fragen sollen? Mary hatte vielleicht keine anderen Freunde in Lyme, ich hatte sie nie mit Gleichaltrigen aus ihrer Klasse zusammen gesehen. «Das Problem ist, dass Mary durchaus Recht haben könnte», begann ich vorsichtig. «Wenn Baron Cuvier den Plesiosaurier für eine Fälschung hält und diese Meinung veröffentlicht, könnten die Menschen danach auch die Echtheit anderer Funde in Frage stellen.» Molly Anning reagierte nicht auf diese Überlegung, deshalb formulierte ich sie deutlicher. «Sie werden wahrscheinlich weniger verkaufen, wenn die Leute an der Echtheit der Anning-Fossilien zweifeln.»
    Das schien Molly verstanden zu haben, denn sie funkelte mich so böse an, als sei dies meine eigene Meinung. «Wie kann der Franzose es wagen, unserem Geschäft zu schaden! Sie müssen das klarstellen.»
    «Ich?»
    «Sie sprechen doch Französisch, oder nicht? Sie sind gebildet. Ich nicht. Also müssen Sie ihm schreiben.»
    «Aber ich habe doch gar nichts mit der Sache zu tun.»
    Molly Anning sah mich einfach nur an, genauso wie meine Schwestern.
    «Molly», sagte ich, «Mary und ich hatten in den letzten Jahren nicht besonders viel miteinander zu tun.»
    Ich schaute mich um. Margaret hatte sich auf ihrem Stuhl vorgebeugt, und Louise sah mich mit dem typischen Philpotblick an. Auch meine Schwestern schienen auf eine Erklärung zu warten, denn ich hatte ihnen nie einen Grund für mein Zerwürfnis mit Mary genannt. «Mary und ich … wir waren in einigen Dingen nicht einer Meinung.»
    «Na, das können Sie jetzt wieder gutmachen, indem Sie die Sache mit dem

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