Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
Vom Netzwerk:
veröffentlichten Aufsätze. Konig hatte das Privileg bekommen, dem Ichthyosaurier seinen Namen zu geben, Conybeare durfte das Gleiche für den Plesiosaurier tun. Ohne Mary hätte keiner von beiden etwas zu taufen gehabt. Ich konnte nicht einfach untätig bleiben und zusehen, wie die Zweifel an ihren Fähigkeiten lauter wurden, während diese Männer genau wussten, dass Mary sie alle in den Schatten stellte.
    Und ich wollte Mary gegenüber etwas gutmachen. Endlich war ich so weit, sie um Vergebung für meine Eifersucht und Geringschätzung zu bitten.
    Doch das war noch nicht alles. In meinem an Abenteuern armen Leben bot sich plötzlich die Gelegenheit zu einer besonderen Erfahrung. Ich war noch nie allein gereist, sondern immer in Gesellschaft meiner Schwestern, meines Bruders, anderer Verwandter oder Freunde. Auch wenn mir das einerseits Sicherheit gab, empfand ich es gleichzeitig als Fessel, die mich manchmal zu sehr einengte. Deshalb war ich ziemlich stolz auf mich, als ich auf dem Deck der Unity stand, dem Schiff, das schon den Ichthyosaurier von Colonel Birch nach London gebracht hatte, und Lyme und meine Schwestern immer kleiner werden sah, bis sie schließlich ganz verschwanden und ich allein war.
    Da wir das schwierige Gewässer um die Insel Portland umfahren mussten, segelten wir nicht an der Küste entlang, sondern direkt aufs Meer hinaus. So war mir leider kein Blick auf so vertraute Orte wie das Golden Cap, Bridport, Chesil Beach und Weymouth vergönnt. Nachdem wir Portland hinter uns gelassen hatten, blieben wir auf offener See, bis wir auch die Isle of Wight umfahren hatten. Erst dann näherten wir uns wieder der Küste.
    Eine Seereise ist etwas völlig anderes als eine Kutschfahrt nach London. Margaret, Louise und ich hatten immer mit mehreren Fremden zusammengezwängt in einer muffigen, rüttelnden und klappernden Kiste gesessen, die dauernd zum Pferdewechseln anhielt. Es war ein Gemeinschaftserlebnis, das ich mit zunehmendem Alter als immer unangenehmer empfand und von dem ich mich tagelang erholen musste.
    An Bord der Unity hatte ich meine Ruhe. Ich saß etwas abseits an Deck auf einem kleinen Fass, wo ich niemandem im Weg war, und sah der Mannschaft bei der Arbeit zu. Auch wenn ich nicht verstand, was genau sie mit den Seilen und Segeln machten, nahm mir die Selbstverständlichkeit ihrer Routinen und ihr Rufen untereinander die Angst davor, auf dem Meer zu sein. Auch war ich aller Alltagspflichten entbunden, man erwartete nichts anderes von mir, als den Männern nicht im Weg zu stehen. Obwohl der Seegang rau war, blieb ich nicht nur von der Seekrankheit verschont, ich genoss die Reise sogar.
    Ich hatte mir Sorgen gemacht, weil ich die einzige Dame an Bord war – die drei anderen Passagiere waren allesamt Männer, die geschäftlich in London zu tun hatten –, doch ich wurde weitgehend ignoriert, auch wenn mich der etwas wortkarge Kapitän abends recht freundlich zum gemeinsamen Essen begrüßte. Niemand verriet eine Spur von Neugier mir gegenüber, allerdings wurde einer der Passagiere, ein Mann aus Honiton, recht gesprächig, als er hörte, dass ich mich für Fossilien interessierte. Den Plesiosaurier erwähnte ich ihm gegenüber jedoch nicht, genauso wenig verriet ich, dass ich die Geologische Gesellschaft besuchen wollte. Er kannte nur die gängigen Dinge – Ammoniten, Belemniten, Crinoiden, Gryphaea – und hatte, so unermüdlich seine Worte auch flossen, wenig Brauchbares zu sagen. Zum Glück vertrug er die Kälte nicht, weshalb er die meiste Zeit unter Deck blieb.
    Bevor ich an Bord der Unity ging, hatte ich das Meer als eine Art Grenze empfunden, die mich auf meinen Platz an Land verwies, doch jetzt öffnete es sich mir. Ich saß an Deck, sah gelegentlich andere Schiffe vorbeifahren, doch die meiste Zeit gab es nichts anderes als den Himmel und das rollende Wasser. Vom Rhythmus der See und den Routinen an Bord in eine wortlose Ruhe gelullt, schaute ich auf den Horizont hinaus. Es war seltsam befriedigend, diese weit entfernte Linie zu betrachten. Ich musste daran denken, dass ich den Großteil meines Lymer Lebens mit den Augen am Boden verbracht hatte, weil ich nach Fossilien suchte. Das Sammeln kann den Blickwinkel eines Menschen einschränken. An Bord der Unity musste ich unwillkürlich in die weite Welt hinausblicken und über meinen Platz in ihr nachdenken. Manchmal stellte ich mir vor, am Strand zu stehen und auf das Schiff zu schauen, auf dessen Deck ich zwischen hellgrauem Himmel

Weitere Kostenlose Bücher