Zwei bemerkenswerte Frauen
und dunkelgrüner See eine kleine, mauvefarbene Figur erblickte, die einsam und unerschütterlich die Welt an sich vorbeiziehen ließ. Ich hatte nicht damit gerechnet, doch ich war noch nie so glücklich gewesen.
Auch wenn der Wind schwach war, kamen wir langsam, aber stetig voran. Als am zweiten Tag die Kreidefelsen östlich von Brighton aufleuchteten, erblickte ich erstmals wieder Land. Da wir kurz dort anlegten, um Tuch aus der Fabrik in Lyme zu löschen, hatte ich eigentlich Captain Pearce fragen wollen, ob ich an Land gehen und meine Schwester Frances besuchen dürfe. Doch zu meiner Überraschung verspürte ich jetzt keine Lust mehr dazu. Ich wollte Frances auch keine Nachricht zukommen lassen, dass ich im Hafen sei, sondern war einfach zufrieden, an Bord zu bleiben und die Einwohner Brightons bei ihren Spaziergängen über die Promenade zu beobachten. Selbst wenn Frances zufällig unter ihnen gewesen wäre, bin ich mir nicht sicher, ob ich ihr etwas zugerufen hätte. Ich genoss es zu sehr anonym auf dem Deck zu stehen, wo niemand etwas von mir wollte.
Am dritten Tag fuhren wir an Dover mit seinen strahlend weißen Klippen vorbei und bogen gerade um die Landzunge bei Ramsgate, als ich backbords ein Schiff erblickte, das auf eine Sandbank gelaufen war. Als wir uns ihm näherten, hörte ich, wie die Mannschaft über die Dispatch sprach, das Schiff, auf dem sich Marys Plesiosaurier befand.
Ich trat an den Kapitän heran. «Oh, ja, das ist die Dispatch », bestätigte er. «Ist in den Goodwin Sands auf Grund gelaufen. Die haben wohl den Kurs zu scharf gehalten.» Es klang angewidert, und selbst als er seinen Männern befahl zu ankern, verriet seine Stimme keinerlei Mitleid. Bald ruderten zwei Matrosen in einem Boot zu dem Schiff, das schwer Schlagseite hatte, und wurden dort von ein paar Männern begrüßt, die an Deck erschienen waren. Die Matrosen unterhielten sich einige Minuten mit ihnen und kamen dann zurückgerudert. Ich beugte mich vor, um alles mitzubekommen, was sie dem Kapitän zuriefen. «Fracht ist gestern an Land gebracht worden!», schrie einer. «Sie befördern sie auf dem Landweg nach London.»
Daraufhin begann die Mannschaft zu johlen, denn wie ich während meiner Reise erfahren hatte, hielten die Matrosen nicht viel vom Landweg, den sie als langsam, holprig und dreckig empfanden. Ein Kutscher hätte vermutlich gekontert, dass die See langsam, rau und nass sei.
Doch welche Seite auch Recht hatte, Marys Plesiosaurier befand sich jetzt in einer langen und langsamen Leiterwagenkolonne, die durch Kent nach London kroch. Obwohl das Fossil eine Woche vor mir auf Reisen gegangen war, würde es vermutlich nach mir in London eintreffen. Für die Tagung der Geologischen Gesellschaft würde es zu spät sein.
Wir erreichten London in den frühen Morgenstunden des vierten Tags und dockten an einem Kai in der Tooley Street an. Nachdem es auf See recht ruhig gewesen war, brach jetzt das Chaos aus. Die Ladung wurde unter Schreien und Pfeifen bei Fackellicht gelöscht; mit Menschen und Fracht beladene Kutschen und Karren klapperten davon. Nach den vier Tagen im gleichmäßigen Rhythmus der Natur war es ein Schock für die Sinne. Die Menschen, der Lärm und die Lichter erinnerten mich daran, dass ich aus einem bestimmten Grund nach London gekommen war, und nicht, um den Horizont zu betrachten und dabei Anonymität und Einsamkeit zu genießen.
Ich stand an Deck und hielt auf dem Kai nach meinem Bruder Ausschau, aber er war nicht da. Der Brief, den ich am Tag meiner Abreise aufgegeben hatte, musste unterwegs im Straßenmatsch steckengeblieben sein und das Rennen gegen mich verloren haben. Obwohl ich selbst noch nie in den Docks von London gewesen war, hatte ich gehört, wie unübersichtlich, schmutzig und gefährlich es dort war. Das galt natürlich besonders für eine allein reisende Dame, die von niemandem erwartet wurde. Vielleicht lag es an der Dunkelheit, die alles noch unheimlicher machte, aber die Männer, von denen die Unity gelöscht wurde und zu denen die Matrosen gehörten, die ich an Bord kennengelernt hatte, wirkten plötzlich viel ungehobelter und rauer.
Am liebsten wäre ich auf dem Schiff geblieben. Es gab niemanden, den ich um Hilfe bitten konnte, denn die anderen Passagiere hatten sich – einschließlich des eingebildeten Gentleman aus Honiton – nicht gerade als Kavaliere erwiesen und waren einfach davongeeilt. Ich hätte in Panik geraten können, was mir vor der Reise auch sicher passiert
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