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Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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wäre. Doch in den vielen Stunden, die ich auf dem Schiffsdeck gesessen und den Horizont betracht hatte, war eine Veränderung in mir vorgegangen: Ich konnte jetzt für mich selbst einstehen. Ich war Elizabeth Philpot, und ich sammelte Fischfossilien. Nicht alle Fische sind schön, doch sie haben ansprechende Formen – und sie führen mit den Augen. Es ist nichts Beschämendes an ihnen.
    Ich nahm meine Tasche und verließ das Schiff mitten hinein in eine Gruppe geschäftiger Männer. Viele von ihnen pfiffen oder riefen mir etwas nach, doch bevor irgendjemand über das Rufen hinausgehen konnte, war ich schon zum Zollhaus geeilt. Allerdings war es ungewohnt, wieder an Land zu sein, und ich fühlte mich noch etwas wacklig auf den Beinen. «Ich hätte gerne eine Droschke, bitte», sagte ich zu einem verblüfften Angestellten, der gerade eine Liste abhakte. Er hatte einen Schnurrbart, der wie eine Motte über seinem Mund flatterte. «Ich warte hier, bis Sie mir eine geholt haben», fügte ich hinzu und setzte meine Tasche ab. Zwar reckte ich mein Kinn nicht vor und schärfte meinen Kiefer, aber ich blickte ihn mit meinen Philpotaugen fest an.
    Er besorgte mir die Droschke.
    * * *
    Die Geologische Gesellschaft residierte in Covent Garden, nicht weit vom Haus meines Bruders entfernt, aber um hinzukommen musste ich durch St Giles und Seven Dials, wo es von Bettlern und Dieben nur so wimmelte. Ich war also nicht besonders darauf erpicht, zu Fuß zu gehen, und so wartete ich am Abend des 20. Februar 1824 mit meinem Neffen Johnny neben mir in einer Droschke gegenüber der Bedford Street 20. In den Straßen lag Schnee, und es war so kalt, dass wir uns tief in unsere Mäntel kuschelten.
    Mein Bruder war entsetzt gewesen, dass ich den ganzen Weg nach London allein auf einem Schiff zurückgelegt hatte. Und alles nur wegen Mary! Als er mitten in der Nacht geweckt wurde und mich vor der Tür stehen sah, schien ihm die Überraschung so zuzusetzen, dass ich fast bedauerte, gekommen zu sein. Seit er uns nach Lyme abgeschoben hatte, machten wir Schwestern ihm kaum noch Sorgen, und ich wollte es auch jetzt nicht tun.
    John versuchte alles, um mir den Besuch in der Geologischen Gesellschaft auszureden, sprach aber kein ausdrückliches Verbot aus. Einmal hatte er mir meine seltsamen Schrullen durchgehen lassen und mich zur Vorschau der Auktion von Colonel Birch in Bullocks Museum begleitet, zu mehr schien er nicht bereit zu sein. Dass ich auch auf der Auktion selbst gewesen war, hatte er zum Glück nie erfahren. Noch einmal wollte er mich bei einem so merkwürdigen und gewagten Unternehmen nicht unterstützen. «Sie werden dich gar nicht einlassen, weil du eine Frau bist. Ihre Satzung verbietet das.» Als Erstes kam er mit dem juristischen Argument. Wir saßen hinter verschlossener Tür in seinem Arbeitszimmer, als versuche John, seine Familie vor mir, der unberechenbaren Schwester, zu schützen. «Und selbst wenn sie dich einließen, würden sie dir nicht zuhören, weil du kein Mitglied bist. Außerdem …» – er hielt die Hand hoch, weil ich ihn zu unterbrechen versuchte –, «außerdem geht dich Mary nichts an. Warum willst du über sie reden und sie verteidigen? Es steht dir nicht zu.»
    «Weil sie meine Freundin ist», erwiderte ich. «Wenn ich nicht für sie eintrete, wird es niemand tun.»
    John sah mich an, als wäre ich ein Kleinkind, das seinem Kindermädchen eine zweite Portion Pudding abschwatzen will. «Es war sehr töricht von dir, den ganzen Weg hierherzukommen und dir unterwegs auch noch eine Krankheit …»
    «Es ist nur eine Erkältung, nichts Schlimmes.»
    «… und dir unterwegs auch noch eine Krankheit einzufangen. Damit hast du uns unnötig Sorgen gemacht.» Jetzt versuchte er es mit Schuldgefühlen. «Unnötig, weil dir niemand zuhören wird.»
    «Ich will es wenigstens versuchen. Es wäre wirklich töricht, den ganzen Weg hergekommen zu sein und es dann nicht wenigstens zu versuchen.»
    «Was genau willst du von diesen Männern?»
    «Ich will sie daran erinnern, wie sorgfältig Mary Fossilien sucht und präpariert, und sie dazu überreden, Mary in aller Öffentlichkeit gegen Cuviers Angriff auf ihren Leumund zu verteidigen.»
    «Das werden sie bestimmt nicht tun», sagte John und fuhr mit dem Finger die Spirale des Nautilus-Briefbeschwerers nach. «Den Plesiosaurier verteidigen sie vielleicht, aber über Mary werden sie nicht reden. Sie hat die Fossilien ja nur gesucht.»
    «Nur gesucht!» Ich hielt inne. John

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