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Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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werden, die weiter draußen ankern.
    Ich war zu weit weg, um die Gesichter der Philpot-Schwestern zu erkennen, doch ich sah, wie Miss Margaret Miss Elizabeth etwas reichte, das diese in ihre Tasche steckte. Dann küssten und umarmten sie sich, bis Miss Elizabeth von ihren Schwestern wegtrat. Die arbeitenden Männer machten kurz die Planke frei, die aufs Schiff führte, und Miss Elizabeth ging sie hoch. Dann stand sie auf dem Schiffsdeck.
    Obwohl sie am Meer lebte und dauernd am Strand Fossilien suchte, konnte ich mich nicht erinnern, dass Miss Elizabeth jemals mit dem Schiff gefahren war oder auch nur in einem kleinen Boot. Ich selbst hatte es allerdings auch erst zweimal gemacht. Obwohl die Philpots mit dem Schiff nach London reisen konnten, wählten sie immer die Kutsche. Manche Menschen sind eben fürs Wasser gemacht, andere fürs Land. Wir waren Landmenschen.
    Ich wollte über den Cobb laufen und ihnen etwas zurufen, aber ich hab’s nicht gemacht. Stattdessen bin ich mit dem winselnden Tray vor meinen Füßen hinter dem Ruderboot geblieben und habe zugesehen, wie die Mannschaft der Unity die großen Segel setzte und das Schiff ablegte. Miss Elizabeth stand an Deck, eine tapfere, aufrechte Gestalt in einem grauen Cape und mit violetter Haube. Schon unzählige Male habe ich Schiffe aus Lyme abfahren sehen, aber nicht mit einem Menschen an Bord, der mir so viel bedeutete. Plötzlich kam mir die See heimtückisch und gefährlich vor. Ich musste an die Leiche von Lady Jackson denken, die vor Jahren nach einem Schiffsunglück angespült worden war. Am liebsten hätte ich Miss Elizabeth zugerufen, sie solle zurückkommen, doch es war zu spät.
    Ich versuchte ruhig zu bleiben und meine Arbeit zu machen. Ich schaute nicht in die Zeitung, um zu sehen, ob es Schiffsunglücke gegeben hatte, der Plesiosaurier in London angekommen war oder etwas über Monsieur Cuviers Zweifel an ihm geschrieben wurde. Das Letzte würde sowieso kaum in der Zeitung stehen, da es für die meisten Menschen uninteressant war. Manchmal wünschte ich mir aber trotzdem, sie würden in der Western Flying Post über die Sachen schreiben, die mir wichtig waren. Dann wollte ich Schlagzeilen sehen wie «Miss Elizabeth Philpot sicher in London eingetroffen»; «Die Geologische Gesellschaft feiert den Plesiosaurier aus Lyme» oder «Monsieur Cuvier bestätigt, dass Miss Anning ein neues Tier entdeckt hat».
    Eines Nachmittags lief mir vor dem Ballsaal Miss Margaret über den Weg, die dort Whist spielen wollte. Selbst im Winter trafen sie sich dort einmal in der Woche zum Kartenspielen. Trotz der Kälte trug Miss Margaret einen ihrer altmodischen Federturbane, mit denen sie immer aussah wie eine etwas überkandidelte alte Jungfer mit einer Vorliebe für komische Hüte. Obwohl ich Miss Margaret mein Leben lang bewundert habe, sah ich sie jetzt selbst schon so.
    Als ich ihr einen guten Tag wünschte, fuhr sie zusammen wie ein Hund, dem jemand auf den Schwanz getreten hatte. «Haben Sie … haben Sie was von Miss Elizabeth gehört?», fragte ich.
    Miss Margaret sah mich komisch an. «Woher weißt du, dass sie weg ist?»
    Ich sagte nicht, dass ich gesehen hatte, wie sie aufs Schiff ging. «Das wissen doch alle. In Lyme bleibt nichts geheim.»
    Miss Margaret seufzte. «Wir haben noch keine Nachricht von ihr, aber die Post kommt schon seit drei Tagen nicht mehr durch, weil die Straßen so schlecht sind. Niemand hat Briefe oder Zeitungen erhalten. Doch ein Nachbar ist gerade von Yeovil hergeritten und hat die neue Ausgabe der Post mitgebracht. Dort steht, dass die Dispatch in der Nähe von Ramsgate auf Grund gelaufen ist. Es war das Schiff vor dem von Elizabeth.» Sie erschauderte, so dass die Straußenfedern auf ihrem Turban zitterten.
    «Die Dispatch ?», rief ich. «Aber auf der ist der Plesiosaurier! Was ist passiert?» Ich hatte die grauenhafte Vorstellung, wie meine Riesenbestie auf den Meeresboden sank und der Welt für immer verloren ging. Alle meine Mühen waren umsonst gewesen, und die hundert Pfund des Herzogs von Buckingham waren auch weg.
    Miss Margaret sah mich sehr ernst an. «In der Zeitung steht, Passagiere und Fracht seien in Sicherheit und würden auf dem Landweg nach London gebracht. Es gibt keinen Grund zur Sorge, obwohl du vielleicht erst an die Menschen an Bord hättest denken können, und nicht nur an die Fracht, auch wenn sie dir noch so wichtig ist.»
    «Natürlich, Miss Margaret. Natürlich denke ich an die Menschen. Gott beschütze sie.

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