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Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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Philpots aus London jahrelang mit Misstrauen betrachtet hatte, hielt sie jetzt große Stücke auf sie.
    So sicher Mam sich auch war, ich war es nicht. Ich war zwar sehr erleichtert, dass Miss Elizabeth die Krankheit überlebt hatte, doch es sah so aus, als hätte ich sie trotzdem verloren. Und ich konnte kaum etwas dagegen tun. Nachdem Mam noch mal geschrieben hatte, um zu sagen, wie froh wir alle wären, hörten wir nichts mehr von den Philpots. Wie die Sache mit Monsieur Cuvier weiterging, erfuhr ich auch nicht. Mir blieb nichts anderes, als mit der Ungewissheit zu leben.
    Wenn’s kommt, dann kommt’s meist knüppeldick. Das war schon immer Mams Lieblingssprichwort gewesen, und sie hat es für jede Gelegenheit angewendet. Fürs Wetter zum Beispiel, aber da bin ich nicht ihrer Meinung, denn nicht jede dunkle Wolke bringt gleich schlimmen Regen. Schon seit Jahren bin ich auch bei grau verhangenem Himmel draußen am Strand gewesen, und es hat nicht gleich fürchterlich geregnet, sondern höchstens hin und wieder mal getröpfelt. Oft kann der Himmel sich eben nicht so richtig entscheiden, was er will.
    Doch was die Kuris angeht, könnte der Spruch schon zutreffen. Manchmal sind Monate oder sogar Jahre vergangen, ohne dass wir eine Riesenbestie gefunden haben. Dann hat die Armut uns in die Knie gezwungen, wir haben gefroren und gehungert und waren verzweifelt. Zu anderen Zeiten haben wir mehr gefunden, als wir brauchen oder verarbeiten konnten. So war es auch, als der Franzose gekommen ist.
    Es war einer von diesen herrlichen Tagen im Spätjuni, wenn die Sonne und der warme Wind einem sagen, dass endlich Sommer ist und man wieder freier atmen kann, weil man nicht mehr mit jedem Atemzug gegen die Kälte des Winters und Frühjahrs ankämpfen muss. Ich war draußen an den Felskanten vor den Church Cliffs und legte ein sehr schönes Exemplar eines Ichthyosaurus tenuirostris frei – ich kann das jetzt so genau sagen, weil die Männer vier Gattungen identifiziert und mit Namen versehen haben, die ich mit einem Blick auseinanderhalten kann. Bei diesem Exemplar fehlten zwar Schwanz und Flossen, aber er hatte fest zusammenhängende Wirbel und lange, spitz zulaufende Kiefer mit kleinen intakten Zähnen. Mam hatte schon an Mr Buckland geschrieben und ihn gebeten, es dem Herzog von Buckingham anzubieten, der sich schon lange einen Ichie als Gesellschaft für den Plesi wünschte.
    Während ich arbeitete, kam jemand und stellte sich neben mich. Ich war es gewohnt, dass mir Feriengäste über die Schulter schauten, um zu sehen, was die berühmte Mary Anning gerade macht. Manchmal sind sie auch ein bisschen weiter weg gestanden, und ich hab gehört, wie sie über mich redeten. «Was meinst du, was sie da gefunden hat?», hieß es dann. «Ob es eine von diesen Kreaturen ist? Ein Krokodil, oder? Ich hab da kürzlich erst was gelesen. Vielleicht ist’s auch eine Riesenschildkröte ohne Panzer?»
    Obwohl ich im Stillen lächeln musste, habe ich sie nicht verbessert. Für die Menschen war es schwer zu begreifen, dass es einst Tiere gab, die sie sich heute nicht einmal mehr vorstellen können und die auch nicht mehr leben. Ich hatte schließlich selbst Jahre gebraucht, bis ich mich mit dieser Vorstellung anfreunden konnte, und dabei hatte ich den Beweis doch ständig vor Augen. Weil ich schon zwei verschiedene Riesentiere gefunden hatte, brachten sie mir in Lyme zwar jetzt mehr Respekt entgegen, trotzdem würden die Menschen nicht einfach ihre Ansichten ändern, nur weil Mary Anning ihnen das sagte. Soviel hatte ich begriffen, seit ich neugierige Feriengäste zum Fossiliensuchen führte. Sie wollten am Strand Schätze finden, und sie wollten die Riesentiere sehen, aber darüber nachdenken, wie und wann diese Tiere gelebt hatten, wollten sie nicht. Das bedrohte ihr Verständnis von der Welt zu sehr.
    Jetzt bewegte sich der Zuschauer hinter mir, so dass er in der Sonne stand und sein Schatten auf den Ichie fiel. Ich schaute hoch. Es war einer von den stämmigen Day-Brüdern, Davy oder Billy, ich konnte sie nie auseinanderhalten. Ich legte meinen Hammer weg, wischte mir die Hände ab und stand auf.
    «Tut mir leid, dich zu stören, Mary», sagte er, «aber da ist was, das Billy und ich dir zeigen müssen, drüben beim Gun Cliff.» Beim Sprechen schaute er auf den Ichie runter, wahrscheinlich um meine Arbeit zu überprüfen. Mit den Jahren war ich immer besser darin geworden, einen Fund aus dem Stein zu meißeln, und brauchte die Hilfe der

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