Zwei bemerkenswerte Frauen
war von einer einheitlichen Staubschicht überzogen. Im feuchten Zustand ergeben Kalk- und Schieferkrümel einen klebrigen Matsch und im trockenen einen in alle Ecken und Poren dringenden Staub, der fast so weich und fein wie Talkumpuder ist, unter den Füßen knirscht und einem die Haut austrocknet. Mir war dieser Staub nur zu vertraut, und Bessy kannte ihn ebenfalls. Immer, wenn ich Fundstücke von den Klippen mit heimbrachte, beklagte sie sich bitterlich, dass sie wieder hinter mir herputzen musste.
Mich schauderte, einerseits wegen der Kälte in diesem Keller, in dem kein Feuer brannte, andererseits wegen der fürchterlichen Unordnung, die hier herrschte. Ich hatte gelernt, mich beim Suchen zusammenzureißen und nicht jedes kleine Fossilienstück, das ich fand, mit nach Hause zu nehmen, sondern lieber nach größeren Exemplaren Ausschau zu halten. Sowohl Bessy als auch meine Schwestern hätten längst rebelliert, wenn sich eine kontinuierlich wachsende Sammlung unvollständiger Fossilien im ganzen Haus ausbreiten würde. Der Morley Cottage sollte unser Zufluchtsort vor der rauen Welt sein, wenn Fossilien im Haus zugelassen waren, dann nur im domestizierten Zustand. Gereinigt, katalogisiert und mit einem Etikett versehen hatten sie in Ausstellungskästen zu liegen, in denen man sie aus sicherem Abstand betrachten konnte, ohne dass sie die Ordnung unseres Alltags gefährdeten.
Das Durcheinander in der Werkstatt der Annings zeugte für mich aber nicht nur von schlechter Haushaltsführung, sondern vor allem von wirrem Denken und moralischer Verworfenheit. Ich wusste, dass Richard Anning ein politischer Rebell gewesen war. Noch Jahre nach seinem Tod erzählte man sich von dem Aufstand gegen die überteuerten Brotpreise, den er einmal angeführt hatte. Die Familie gehörte zu den Dissentern, den Andersgläubigen, die in Lyme recht verbreitet waren, da ihre geographische Abgelegenheit die Stadt vermutlich zu einem Zufluchtsort für unabhängige Christen gemacht hatte. Obwohl ich keine Vorbehalte gegenüber Dissentern hatte, war ich der Ansicht, dass Mary nach dem Tod ihres Vaters ein wenig mehr Ordnung gut tun würde – im Alltag und in ihren Gedanken.
In diesem Moment jedoch waren mir Schmutz und Verworrenheit egal, ich wollte nur sehen, was auf dem Tisch in der Mitte des Raums ausgebreitet lag. Im Flackern der Kerzen, die um ihn standen, wirkte der Fund wie eine heidnische Opfergabe, doch reichten die Kerzen nicht, um ihn richtig zu beleuchten. Ich nahm mir vor, Bessy bei ihrem nächsten Stadtgang ein paar Kerzen für die Annings mitzugeben.
Wegen der vielen Menschen am Strand hatte ich dort nicht ausreichend Gelegenheit gehabt, mir den Schädel genauer anzuschauen. Als ich ihn jetzt nicht von der Seite sah, sondern frontal, wirkte er auf mich wie das Modell einer zerklüfteten Berglandschaft, aus der zwei kleine Hügel aufragten wie Tumuli aus der Bronzezeit. Im flackernden Kerzenlicht wirkte das grinsende Krokodil wie ein Wesen aus einer anderen Welt, und es kam mir vor, als würde ich durch ein Fenster in eine weit zurückliegende Vergangenheit blicken, in der solch fremde Kreaturen gelebt hatten.
Lange Zeit stand ich schweigend und schauend da, schließlich ging ich langsam um den Tisch herum, um den Schädel, der noch immer in seinem Steinbett lag, aus allen Blickwinkeln zu betrachten. Es gab noch viel zu tun für Mary und ihre Klingen, Nadeln und Pinsel; vielleicht würde sie auch den Hammer noch einmal einsetzen müssen. «Pass auf, dass du beim Reinigen nichts kaputt machst, Mary», sagte ich, um mich zu vergewissern, dass dies hier einfach ein Stück Arbeit war und nicht die Szene aus einem der Gruselromane, die Margaret so gerne las.
Mary verzog beleidigt das Gesicht. «Natürlich nicht, Ma’am.» Doch ihr Selbstvertrauen war gespielt, denn ihre Stimme klang unsicher. «Aber das wird ganz schön lange dauern, und ich weiß noch nicht, wie ich es am besten machen soll. Wenn doch nur Pa noch da wäre und mir Rat geben könnte.» Die Größe dieser Aufgabe schien sie zu überfordern.
«Ich habe dir meinen Cuvier zur Orientierung mitgebracht, aber ich weiß nicht, ob er wirklich hilfreich ist.» Ich schlug das Buch auf der Seite mit der Zeichnung eines Krokodils auf, die ich mir schon vorher genau angeschaut hatte. Jetzt, wo ich mit dem Bild in der Hand neben dem Schädel stand, war mir klar, dass dies kein Krokodil sein konnte – zumindest gehörte es zu keiner der Arten, die uns bekannt waren. Das
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