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Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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sehen, die es noch viele Jahre satt machen werden? Ich würde mich mit ihrer Mutter hinsetzen und die Sache besprechen müssen.
    «Mary, Mr Blackmore will das Krok sehen!», rief Molly Anning in dem Moment die Treppe hinab.
    «Sag ihm, er soll in einer halben Stunde wiederkommen!», rief Mary zurück. «Miss Philpot ist noch nicht fertig.» Sie wandte sich zu mir um. «Hier kommen schon den ganzen Tag Leute vorbei, um es zu sehen», sagte sie stolz.
    Mollys Füße tauchten auf der Treppe auf. «Reverend Gleed von der Kirche wartet auch schon. Richte deiner Miss Dingsda aus, dass es auch noch andere Menschen gibt, die das Krok sehen wollen. Bei uns geht es ja zu wie in einem Laden, in dem gerade eine neue Lieferung Kleider eingetroffen ist.»
    Das brachte mich auf eine Idee. Wenn die Annings noch auf den Körper der Kreatur warten wollten, gab es eine Möglichkeit, wie sie in der Zwischenzeit zu etwas Geld kommen konnten. Außerdem mussten sie den Schädel dann nicht nach Colway Manor bringen, nur damit Lord Henley ihn sich anschauen konnte.
    Am nächsten Morgen trugen Mary, Joseph und zwei seiner stärksten Freunde den Schädel in den Ballsaal am Hauptplatz, der nur ein paar Schritte vom Haus der Annings entfernt lag. Zu Margarets unendlichem Verdruss wurden die Räumlichkeiten während des Winters kaum genutzt. Der Hauptsaal hatte ein großes Erkerfenster, das in Richtung Süden aufs Meer hinausschaute und genügend Licht hereinließ, um das Fundstück gut präsentieren zu können. Ein nicht abreißender Strom von Besuchern zahlte einen Penny, um es sich anzuschauen. Ich hatte einen Jungen mit einem Einladungsschreiben zu Lord Henley geschickt, und als er eintraf, wollte Mary auch ihm einen Penny abknüpfen, doch auf meinen warnenden Blick hin ließ sie es bleiben. Dafür fiel sie in trotziges Schweigen, so dass ich nun wieder Sorge hatte, sie könne Lord Henley von seinen Kaufplänen abbringen.
    Doch ich hätte mir keine Sorgen machen müssen, denn was Mary dachte, war Lord Henley herzlich egal, mehr noch, er schien sie kaum zu bemerken. Stattdessen machte er sich mit viel Trara daran, den Schädel mittels einer mitgebrachten Lupe zu untersuchen. Mary brannte so sehr darauf, selbst einmal durch diese Lupe zu schauen, dass sie ihr Schmollen vergaß und Lord Henley über die Schulter blickte. Sie traute sich nicht, ihn um die Lupe zu bitten, doch als er sie an mich weiterreichte, gab ich sie ihr. Auch mit seinen Fragen über den Fundort des Schädels und wie er ausgegraben worden sei, wandte sich Lord Henley an mich, und ich beantwortete sie an Marys Stelle.
    Nur als er sich erkundigte, wo der dazugehörige Körper sei, kam Mary mir zuvor. «Wir wissen’s nicht genau, Sir. Gestern gab’s an der Stelle einen Erdrutsch, und wenn er dort war, ist er jetzt verschüttet. Ich halte weiter Ausschau nach ihm, wir brauchen nur einen richtigen Sturm, der ihn rauswäscht.»
    Lord Henley starrte Mary an. Vermutlich fragte er sich, wie sie dazu kam, ihn anzusprechen, hatte er doch längst vergessen, dass sie mit der Sache zu tun hatte. Außerdem war sie kein besonders hübscher Anblick, weder für einen Gentleman noch für irgendjemanden sonst: Ihr dunkles Haar, das selten eine Bürste sah, war vom ständigen Aufenthalt an der Luft und der nachlässigen Pflege verfilzt, ihre eingerissenen Nägel hatten Schmutzränder und die Schuhe eine Lehmkruste. Im letzten Jahr war sie ein ordentliches Stück gewachsen, hatte aber deshalb kein neues Kleid bekommen, so dass der Saum ihres Rocks zu hoch saß und ihre Handgelenke und Hände weit aus den Ärmeln ragten. Wenigstens ihr Gesicht wirkte trotz der vom Wind geröteten Wangen und des Schmutzes intelligent und wissbegierig. Ich war ihren Anblick gewohnt, doch als ich sie nun mit den Augen Lord Henleys sah, errötete ich vor Scham für sie. Wenn dieses Mädchen die Verantwortung für das Fundstück trug, das er bereits als sein Eigentum reklamierte, musste sich Lord Henley natürlich Sorgen machen, ob es sich in den richtigen Händen befand.
    «Ist es nicht ein großartiger Fund, Lord Henley?», mischte ich mich ein. «Man muss das Fossil nur noch reinigen und präparieren – was ich natürlich beaufsichtigen werde. Aber stellen Sie sich einmal vor, wie beeindruckend es aussehen wird, wenn dieser Schädel eines Tages mit dem dazugehörigen Körper vereint ist!»
    «Wie lange werden Sie brauchen, um es zu reinigen?»
    Ich schaute Mary an. «Mindestens einen Monat», vermutete ich.

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