Zwei bemerkenswerte Frauen
glaube nicht …» Ich unterbrach mich. Woher wollte ich wissen, was Mary und Joseph mit dem Schädel vorhatten? Vielleicht war es besser, erst einmal den Mund zu halten.
Lord Henley schien der Ansicht zu sein, ein Recht auf diesen Fund zu haben. Vielleicht traf das sogar zu, denn die Klippe, in der er gesteckt hatte, befand sich auf seinem Land. Trotzdem musste er die Finder für ihre Arbeit und die Sorgfalt, mit der sie das Fossil geborgen hatten, bezahlen. Außerdem war mir seine anmaßende Grundbesitzerattitüde zuwider. Was war das für ein Sammler, der andere dafür bezahlte, dass sie ihm Ausstellungsstücke suchten? Als ich das gierige Funkeln in seinen Augen sah, schwor ich mir, Mary und Joseph zu einem guten Preis für das Krokodil zu verhelfen, denn ich wusste, dass Lord Henley lieber mit mir verhandeln würde als mit den Annings. «Ich werde mit der Familie sprechen und sehen, was ich für Sie arrangieren kann, Lord Henley. Sie haben mein Wort.»
Als er gegangen war und Bessy den Dreck wegfegte, den er hinterlassen hatte, kam Margaret mit rotgeweinten Augen nach unten. Sie setzte sich ans Klavier und spielte eine melancholische Weise. Ich streichelte ihr über die Schulter und versuchte sie zu trösten. «Du wärest in diesen Kreisen nicht glücklich geworden.»
Margaret schüttelte meine Hand ab. «Woher willst du wissen, was mich glücklich gemacht hätte? Nur weil es dir nicht in den Kram passt zu heiraten, heißt das noch lange nicht, dass wir anderen genauso denken.»
«Ich habe nie behauptet, dass ich nicht heiraten will. Es hat sich einfach nicht ergeben. Ich gehöre nun mal nicht zu den Frauen, die Männer heiraten wollen, dazu bin ich zu unattraktiv und ernsthaft. Mittlerweile habe ich mich damit abgefunden, allein zu bleiben. Ich dachte, dir ginge es genauso.»
Margaret weinte wieder. Ich konnte es nicht ertragen, weil auch mir dann jedes Mal die Tränen kamen, was mir überhaupt nicht recht war. Deshalb ließ ich sie sitzen und flüchtete zu meinen Fossilien im Esszimmer. Sollte Louise sie doch trösten, wenn sie zurückkam.
Später am Tag nutzte ich Lord Henleys Besuch als Vorwand, um zum Cockmoile Square zu gehen. Ich wollte mit den Annings über sein Interesse an dem Schädel reden und mich außerdem erkundigen, ob Mary unten am Strand noch etwas gefunden hatte. Sie hatte mir erzählt, dass sie noch einmal zurückgehen wolle, um nach dem Körper des Krokodils Ausschau zu halten. Als ich ankam, ging ich zunächst in die Küche, um mit Marys Mutter zu sprechen. Molly Anning war eine große, ausgemergelte Frau, die immer eine Dienstmädchenhaube und eine schmuddelige weiße Schürze trug. Sie stand am Herd und rührte in einem Topf, aus dem es nach Ochsenschwanzsuppe roch. In einer Schublade in der Zimmerecke lag ein kläglich schreiendes Baby.
Ich legte ein Bündel ab. «Bessy hat zu viele Rosinenbrötchen gebacken, ich dachte, ich bringe Ihnen ein paar mit, Mrs Anning. Ich habe auch noch eine Ecke Käse und ein Stück Schweinepastete dabei.»
In der Küche war es kalt, denn das Feuer im Herd schwelte nur schwach. Vielleicht hätte ich auch Kohlen mitbringen sollen. Dass Bessy die Rosinenbrötchen nur auf meine Anordnung hin gebacken hatte, verriet ich nicht. Wenn die Annings noch so bedürftig waren, Bessy mochte sie nicht und war, wie wahrscheinlich die meisten guten Familien in Lyme, der Meinung, dass der Umgang mit ihnen unserem gesellschaftlichen Ansehen schadete.
Molly Anning murmelte ein Dankeschön, blickte aber nicht auf. Ich wusste, dass sie nicht viel von mir hielt, denn ich verkörperte alles, was Mary nicht werden sollte: unverheiratet und von Fossilien besessen. Ich konnte Mollys Sorgen nachvollziehen. Auch meine Mutter hätte mir ein anderes Leben gewünscht, und sogar ich selbst hatte vor ein paar Jahren noch andere Träume. Doch jetzt lebte ich eben, wie ich lebte, und es war gar nicht so schlecht. In mancherlei Hinsicht hatte ich mehr Freiheiten als verheiratete Frauen.
Das Baby greinte weiter. Von den zehn Kindern, die Molly Anning zur Welt gebracht hatte, lebten nur noch drei, und dieses hier klang auch nicht so, als würde es noch viel älter werden. Ich schaute mich nach einem Kindermädchen oder einer Magd um, doch natürlich gab es niemanden. Gegen meinen inneren Widerstand ging ich zu dem Kind hinüber und tätschelte den fest in Tücher gewickelten Jungen ein wenig, worauf er noch lauter zu weinen begann. Mit Babys hatte ich noch nie etwas anfangen
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