Zwei bemerkenswerte Frauen
wenige Meter von ihr entfernt qualvoll erstickte. Zwar war ihr ganzer Körper von schlimmen Blutergüssen übersät, doch sie hatte sich nur wenige Knochen gebrochen – ein paar Rippen und das Schlüsselbein. Aus diesem Grund musste sie einige Wochen das Bett hüten, aber irgendwann konnte Doktor Carpenter, der sie gern noch länger dort gesehen hätte, sie nicht mehr halten. Mary weigerte sich, auch nur einen Tag länger liegen zu bleiben, und ging fest einbandagiert, damit die Knochen an ihrem Platz blieben, zurück an den Strand.
Mich wunderte, dass sie nach allem, was sie erlebt hatte, wieder Fossilien suchen wollte. Mehr noch: Sie änderte nicht einmal ihre Gewohnheiten, sondern suchte weiterhin direkt unterhalb der Klippen, wo jederzeit neue Erdrutsche abgehen konnten. Als ich andeutete, dass Molly und Joseph Anning sicher Verständnis dafür haben würden, wenn sie das Fossiliensuchen aufgab, erwiderte Mary: «Mich hat der Blitz getroffen, und ein Erdrutsch hat mich begraben, aber ich habe beides überlebt. Gott muss andere Pläne mit mir haben. Außerdem kann ich es mir gar nicht leisten, aufzuhören.»
Zu den Schulden ihres Vaters, die von der Familie nach all den Jahren immer noch abgestottert wurden, kamen jetzt neue Schulden bei Doktor Carpenter hinzu. Doktor Carpenter mochte Mary, denn sie teilten ein Interesse an Fossilien, außerdem hatte sie dank seines Rats den Blitzschlag überlebt, was ihn immer noch freute. Bezahlt werden musste er trotzdem. Zumal er nicht nur Mary, sondern auch Fanny Miller behandelt hatte, deren Familie darauf bestand, dass die Annings die Kosten übernahmen. Die Annings widersprachen dem nicht; genausowenig erwarteten sie, dass William Buckland für Fannys Behandlung aufkam. Molly Anning erlaubte nicht einmal, dass ich ihm in dieser Angelegenheit schrieb. «Er kann es sich besser leisten als Sie», argumentierte ich. Ich war auf Besuch bei Mary und hatte ihr eine Bibel mitgebracht, in der sie lesen wollte, solange sie das Bett hüten musste. «Und schließlich war Fanny nur wegen ihm am Strand.»
Molly Anning zählte gerade einen Haufen Pennies vom Fossilienverkaufstisch durch und hielt nicht einmal inne. «Hätte Mr Buckland etwas zahlen wollen, dann hätte er uns das sicher angeboten, bevor er nach Oxford abgereist ist. Ich werde ihm und seinem Geld nicht hinterherjagen.»
«Ich glaube, dass er einfach nicht daran gedacht hat», erwiderte ich. «Er ist Wissenschaftler und kein besonders praktischer Mensch. Doch wenn er davon erfährt, wird er seine Schuld bestimmt anerkennen und Doktor Carpenter bezahlen – für Marys Behandlung und für Fannys.»
«Nein.» Hinter Molly Annings Dickköpfigkeit verbarg sich ein Stolz, den ich ihr nicht zugetraut hatte. Molly maß fast alles daran, was es in klingender Münze einbrachte und wie weit es das Armenhaus auf Abstand hielt, aber sie schien verstanden zu haben, dass es in diesem Fall nicht um Geld ging. Welche Rolle William Buckland in der Sache auch gespielt haben mochte – die Annings hatten ein unschuldiges Mädchen in Gefahr gebracht und es zum Krüppel gemacht. Fanny konnte nicht mehr mit einer guten Partie rechnen oder überhaupt damit, noch zu heiraten. Ihr hübsches Aussehen mochte eine Menge wettmachen, aber die meisten Ehemänner aus der Arbeiterklasse brauchten eine Frau, die eine Meile weit laufen konnte. Kein Geld der Welt konnte wiedergutmachen, was Fanny verloren hatte. Molly Anning betrachtete die Schulden als eine Art Strafe.
Mary sprach nie von der halben Stunde, die sie verschüttet gewesen war, bevor ich sie fand, doch die Erfahrung hatte sie verändert. Oft fiel mir ein entrückter Ausdruck in ihren Augen auf, als lausche sie einer Stimme, die oben vom Black Ven rief, oder dem Schrei einer Möwe draußen über dem Meer. Am Strand war ihr der Tod begegnet und hatte direkt neben ihr Halt gemacht. Zwar hatte er Captain Kurio mitgenommen und sie verschont, doch er hatte Mary daran erinnert, dass es ihn gab und auch ihr Grenzen gesetzt waren. Irgendwann kommt für uns alle der Moment, in dem wir uns unserer Sterblichkeit bewusst werden, nur machen die meisten von uns diese Erfahrung nicht in so jungen Jahren wie Mary.
Noch dazu fiel Marys Begegnung mit dem Tod in die Zeit, als sie zur Frau heranreifte. Eines Tages half ich Molly Anning dabei, die Verbände zu wechseln, die Marys Knochenbrüche zusammenhielten. Ich entdeckte, dass sie unter den schlecht sitzenden Kleidern eine sehr frauliche Figur mit
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