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Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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ausgewogenen Proportionen von Taille, Brüsten und Hüfte hatte. Nur ihre Schultern hingen ein wenig vor, eine Folge ihrer Begeisterung für den Boden, außerdem waren ihre Fingerknöchel rau und die Haut an den Fingern rissig und abgearbeitet. Ihr fehlte die Anmut, die Margaret in dem Alter besessen hatte, doch sie hatte eine frische, kesse Ausstrahlung, die bei Männern ihre Wirkung hinterlassen würde.
    Auch Mary selbst schien sich dessen bewusst zu werden. Sie achtete mehr auf ihr Äußeres, wusch sich regelmäßig Gesicht und Hände und bat Margaret um die Salbe, die sie für mich zusammenrührte, damit meine Hände vom aggressiven Blauen Lias nicht zu sehr austrockneten. Die aus Bienenwachs, Terpentin, Lavendel und Schafgarbe hergestellte Salbe wirkte nicht nur gegen spröde Haut, sondern eignete sich auch zur Behandlung von Wunden. Mary schmierte sie sich auf Hände, Ellbogen und Wangen, und bald verband ich mit ihrer Person diese seltsam blumige medizinische Duftnote.
    Marys Haar würde stets eine mattbraune Farbe haben und vom Wind zerzaust sein, doch auch wenn es ihr nicht, wie es Mode war, in weichen Ringellocken hinabfiel, kämmte sie sich jetzt wenigstens täglich den Pony und steckte den Rest zu einem Knoten zusammen, der unter die Haube kam. Fraglich war nur, ob ihr diese Mühen viel nutzen würden, denn ihr Ruf hatte unter der Zeit mit Mr Buckland gelitten, da hatte auch die Gesellschaft der unglückseligen Fanny nicht viel geholfen. Normalerweise hätte der Erdrutschunfall Mary Sympathien einbringen müssen, aber Fannys Verletzung wog schwerer. Innerhalb der arbeitenden Bevölkerung empörte man sich über Mary, in der viele die Übeltäterin sahen. Wenn sie also versuchte, ihre Ellbogen zu pflegen und das Haar zu bändigen, tat sie das sicher nicht in der Hoffnung, damit einen Mann aus Lyme betören zu können. Mary hatte sich zu offensichtlich über alles hinweggesetzt, was von einem Mädchen ihrer Herkunft erwartet wurde. Jetzt, wo die Leute Fanny humpeln sahen, glaubten sie zu wissen, wohin ein solches Verhalten führte, und so hatten sich die leichten Vorbehalte Mary gegenüber zu einer unbarmherzigen Meinung verhärtet.
    Mary gab wenig darauf, was über sie geredet wurde, ein Charakterzug, den ich einerseits bewunderte, der mich aber andererseits an den Rand der Verzweiflung trieb. Vielleicht war auch ein wenig Neid dabei, weil Mary ihre Verachtung für die gesellschaftlichen Konventionen so unverblümt zeigen konnte. Eine Frau mit meinem Klassenhintergrund hätte sich das niemals herausnehmen können. Mir war genau bewusst, dass man selbst in einem so freigeistigen Städtchen wie Lyme nicht zu sehr aus dem Rahmen fallen durfte.
    Möglicherweise konnte Mary dem Leben, das Lyme ihr zu bieten hatte, einfach nicht viel abgewinnen. Sie hatte viel Zeit mit Menschen verbracht, die ihr gesellschaftlich überlegen waren – vor allem mit mir, aber auch mit William Buckland und den verschiedenen Gentlemen, die nach Lyme kamen, weil sie von Marys Fossilienfunden gehört hatten. Das mochte ihr den Kopf verdreht und Hoffnungen auf einen gesellschaftlichen Aufstieg geweckt haben. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass sie jemals einen der Männer, die sie an den Strand begleitete, ernsthaft als Heiratskandidaten betrachtete. Die meisten vornehmen Herren sahen in ihr ohnehin kaum mehr als eine sachkundige Dienstbotin. William Buckland wusste ihr Talent zwar ehrlich zu schätzen, lebte aber so sehr in seiner eigenen Welt, dass er sie nicht als Frau wahrnahm. Wie sehr einen dies verletzen kann, hatte ich selbst kurz erfahren dürfen.
    Denn Marys Interesse an Männern weckte auch mein eigenes, das ich längst tot gewähnt hatte. Nun entdeckte ich, dass es lediglich geschlummert hatte; es war wie ein Rosenstrauch, den man mit ein wenig Aufmerksamkeit wieder zum Blühen bringen konnte. Einmal hatte ich William Buckland zum Abendessen in den Morley Cottage eingeladen, damit er sich meine Fossiliensammlung anschauen konnte. Die Begeisterung, mit der er die Einladung annahm, schrieb ich meinen Fossilien zu, trotzdem ließ ich mich von der Hoffnung hinreißen, dass ein wenig davon auch mir galt. Schließlich war eine Verbindung zwischen uns beiden gar nicht so undenkbar. Gut, ich war ein paar Jahre älter als er und zu alt, um noch viele Kinder zu bekommen, aber unmöglich war es nicht. Molly Anning hatte ihr letztes Kind mit sechsundvierzig Jahren zur Welt gebracht. William Buckland und ich passten nicht nur

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