Zwei bemerkenswerte Frauen
von unserer gesellschaftlichen Stellung her zueinander, wir teilten auch geistige Interessen. Natürlich war ich nicht so gebildet wie er, aber ich war belesen. Ich wusste genug über Geologie und Fossilien, um ihn als Ehefrau in seinem Beruf unterstützen zu können.
Margaret, die einen Riecher für romantische Möglichkeiten hatte, selbst für die einer älteren Jungfer, schürte diese Hoffnungen weiter, indem sie sich über Mr Bucklands lebendige Augen ausließ und mir ständig damit in den Ohren lag, was ich zum Dinner anziehen wollte. Was als freundliches Interesse begonnen hatte, entwickelte sich zu einer derart übersteigerten, stillen Aufregung, dass am Tag unserer Verabredung mein Magen verrücktspielte.
Zwei Stunden lang warteten wir auf ihn, während Bessy in der Küche schimpfend mit den Töpfen klapperte, dann gaben wir auf und setzten uns zu der Mahlzeit, die uns nun verdorben war, die zu essen ich mich aber zwang. Schließlich hatte sich Bessy an diesem Abend besonders viel Mühe gegeben, ich fühlte mich ihr verpflichtet. Sie war ohnehin schon wieder kurz davor zu kündigen; wenn ich ihr Essen verschmäht hätte, wäre sie nicht mehr zu halten gewesen. Außerdem wollte ich meinen Schwestern gegenüber keine Enttäuschung zeigen, doch jeder Bissen lag mir schwer wie Blei auf der Zunge.
Am nächsten Tag versuchte ich William Buckland zwar nicht ausfindig zu machen, begegnete ihm aber am Strand, wo er ausnahmsweise einmal ohne Mary unterwegs war. Er begrüßte mich herzlich, doch als ich meine Enttäuschung darüber zum Ausdruck brachte, dass er am Vorabend nicht gekommen sei, wirkte er überrascht. «Ich war bei Ihnen zum Dinner eingeladen, Miss Philpot? Sind Sie sicher? Sie müssen nämlich wissen, dass ich gestern von einem Mann gehört habe, der unten in Seatown eine lange Wirbelreihe gefunden hat. Ich musste unbedingt hin und sie mit eigenen Augen sehen. Und ich kann Ihnen sagen, es hat sich gelohnt, denn sie sind noch sehr gut erhalten und ganz anders als die Wirbel von Marys Kreatur. Ich frage mich sogar, ob sie nicht von einem anderen Tier kommen.»
Ihm war weder sein gesellschaftlicher Fauxpas bewusst, noch spürte er meine Enttäuschung. Für ihn war völlig selbstverständlich, dass die Besichtigung von ein paar ungewöhnlichen Wirbeln jederzeit Vorrang vor einem Dinner in Damengesellschaft hatte.
Ich sagte nichts mehr und ging mit einem «Guten Tag, Sir» weiter. Mir war aufgegangen, dass eine Frau, die William Buckland heiraten wollte, entweder so schön sein musste, dass sie ihn von seinen Forschungen ablenkte, oder so geduldig, dass sie ihn ertrug, wie er war.
Nach diesem Erlebnis glaubte ich endgültig von Männern geheilt zu sein. Doch ich hatte die Rechnung ohne Colonel Birch gemacht.
* * *
In dem Sommer, als Colonel Birch in Lyme auftauchte, befand sich Mary in einem eigenartigen Zustand, denn sie wusste nicht so recht, was sie von den jüngsten Entwicklungen halten sollte. Einerseits war das Fossil, das sie zusammen mit Joseph gefunden hatte, recht berühmt geworden. Charles Konig hatte Bullock das Original abgekauft und es im Britischen Museum ausgestellt. Er nannte das Tier «Ichthyosaurier», was soviel wie «Fischechse» bedeutet, denn von seiner Anatomie her war der Fund zwischen Fisch und Echse anzusiedeln. Konig und auch andere Wissenschaftler beschäftigten sich ausgiebig mit dem Fossil. Artikel erschienen, in denen darüber debattiert wurde, ob man den Ichthyosaurier als Meeresreptil bezeichnen könne, weil er wie ein Säugetier geatmet habe, aber wie ein Fisch geschwommen sei. Mit großer Neugier verschlang ich alle Zeitschriften, die William Buckland mir auslieh. Mir fiel auf, dass sich niemand an die heikle Frage heranwagte, ob und warum diese Lebewesen ausgestorben waren und welche Rolle Gott dabei gespielt hatte. Theologische Themen wurden gänzlich ausgespart. Vielleicht orientierten sie sich alle an Cuvier, der in seinen Schriften niemals ein Wort über Gottes Absichten fallen ließ. Auch für mich war es eine Erleichterung, den Ichthyosaurier einfach als das akzeptieren zu können, was er war – ein Meeresreptil aus alter Zeit, das nun sogar einen eigenen Namen hatte.
Mary tat sich schwerer damit. Wie die meisten Einheimischen nannte sie das Lebewesen lange Zeit noch Krokodil, entschied sich dann aber irgendwann für «Ichie». Durch den neuen wissenschaftlichen Namen schien das Fossil plötzlich noch weniger mit ihr zu tun zu haben als schon durch den
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