Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
Vom Netzwerk:
oben auf der Klippe gestanden, was bedeutete, dass sie mit der Klippe abgestürzt waren. Es war ein Wunder, dass sie noch lebten.
    Als ich an die Klippe und den Erdrutsch dachte, ging mir schlagartig auf, wer es sein musste. «Captain Kurio?» Mir fiel ein, dass ich ihn vorher gesehen hatte.
    Als der Finger wieder wackelte, erblickte ich plötzlich auch den Griff seines Spatens. Er ragte aus dem Lehmhaufen, unter dem Captain Kurio begraben war. Ich war so froh, dass er da war, dass ich meinen Hass auf ihn vergaß. «Captain Kurio! Mr Buckland ist los und holt Hilfe. Sie werden bald zurück sein und uns ausgraben.»
    Der Finger bewegte sich wieder, aber diesmal nur ein bisschen.
    «Waren Sie oben auf dem Kliff und sind mit abgestürzt?»
    Der Finger bewegte sich nicht.
    «Captain Kurio, können Sie mich hören? Haben Sie sich was gebrochen? Ich glaube, Fanny hat sich das Bein gebrochen. Mr Buckland hat sie mitgenommen. Er wird bald zurück sein.» Ich plapperte einfach drauflos, um gegen meine Panik anzukämpfen.
    Der Finger blieb steif und deutete zum Himmel. Ich wusste, was das bedeutete, und begann zu weinen. «Gehen Sie nicht! Bleiben Sie bei mir! Bitte bleiben Sie, Captain Kurio!»
    Zwischen mir und Captain Kurio lauerte das Krokodilauge. Captain Kurio und ich werden wie das Krok enden, dachte ich. Wir werden uns in Fossilien verwandeln und für immer am Strand bleiben.
    Nach einer Weile hörte ich auf, den Finger von Captain Kurio anzustarren, der jetzt so unbeweglich wie alle anderen Steine in dem Geröllhaufen war. Weil ich den Blick auf die langsam ansteigende Flut genauso wenig ertrug, schaute ich in den mattweißen Himmel, über den ein paar zinnfarbene Wolken zogen. Fast mein ganzes Leben lang hatte ich nach unten geschaut und Steine gesucht, deshalb war es seltsam, in diese Leere hinaufzublicken. Über mir sah ich eine Möwe kreisen. Sie schien immer in gleichem Abstand zu mir zu bleiben, ein Punkt in weiter Ferne. Ich ließ sie nicht aus den Augen, damit ich nicht mehr zu dem Finger oder dem Krok schauen musste.
    Es war so still, dass ich ein Geräusch machen wollte, um den Bann zu brechen. Ich wollte, dass der Blitz durch mich fuhr und mich zurück ins Leben schleuderte, denn ich spürte genau das Gegenteil von ihm – eine Dunkelheit, die ganz allmählich durch meinen Körper kroch.
    In unserer Familie hatte es viele Tote gegeben – Pa und all die Kinder. Außerdem hatte ich fast mein ganzes Leben damit verbracht, die Körper toter Tiere zu sammeln. Doch über meinen eigenen Tod hatte ich mir nie Gedanken gemacht. Selbst während meiner Besuche bei Lady Jackson hatte ich mehr über ihr Sterben nachgedacht als über meinen eigenen Tod. Der Tod war für mich ein Schauspiel gewesen, an dem ich mich weidete. Aber das Sterben war kein Schauspiel, es war kalt, hart, schmerzhaft – und öde. Es dauerte einfach zu lange. Allmählich war ich vom Sterben erschöpft und gelangweilt. Ich hatte viel zu viel Zeit und konnte mir in aller Ruhe Gedanken über die Art meines Todes machen: Würde ich Opfer der auflaufenden Flut werden und wie Lady Jackson ertrinken oder würde der Schlamm allmählich wie bei Captain Kurio die Luft aus mir rausdrücken? Vielleicht erschlug mich auch ein herabstürzender Stein. Ich ertrug diese Gedanken nicht mehr, es tat zu weh. Es war ein Gefühl, wie wenn ich ein Stück Eis berühren würde. Also versuchte ich an Gott zu denken und dass er mir sicher helfen würde.
    Ich habe es nie jemanden anvertraut, doch auch die Gedanken an Gott vertrieben meine Angst nicht.
    Der Lehm lastete immer schwerer auf mir, und ich bekam kaum noch Luft. Meine Atemzüge wurden langsamer, auch mein Herz schlug immer langsamer. Ich schloss die Augen.
    Als ich wieder zu mir kam, wurde in dem Lehm über mir gegraben. Ich schlug die Augen auf und lächelte. «Danke. Ich wusste, dass Sie kommen würden. Oh, danke, dass Sie mich retten kommen.»

VI
    Auch ich war ein wenig verliebt
    M an sollte meinen, dass es zwei Menschen auf ewig verbindet, wenn der eine dem anderen das Leben rettet, doch bei Mary und mir ist es anders gekommen. Ich mache ihr keine Vorwürfe, aber dass ich sie an jenem Tag in einem Rennen gegen die auflaufende Flut auf der einen und die abstürzenden Felsbrocken auf der anderen Seite mit Captain Kurios Spaten aus dem Erdrutsch grub, hat uns eher entzweit als einander nähergebracht.
    Es war ein Wunder, dass Mary überlebte und keine bleibenden Schäden davontrug, während Captain Kurio nur

Weitere Kostenlose Bücher