Zwei Einzelzimmer, bitte!: Mit Kluftinger durch Deutschland
zu hören, hätte ich mich als Kind nachts um halb eins im Dunkeln ins Wohnzimmer schleichen müssen.
Ich bleibe im Essensraum des Hotels heute extra lange sitzen und mache aus dem Frühstück einen Brunch, auch wenn der hier gar nicht angeboten wird. Ich muss das tun, denn vor dem Fernsehnachmittag habe ich ein wenig Angst. Viel Schlimmes erzählt man sich über diese Zeit. Um es kurz zu machen: Es ist alles wahr. Eingeläutet wird das Kuriositätenkabinett von einer lispelnden Katja Burkhard, der gemeine Redakteure besonders viele »s« in ihre Moderation geschrieben haben (»Halten thie thich fetht …«). Dann schlägt die Stunde der grell geschminkten Hauptschulabbrecher, die mit Inbrunst ihr Privates öffentlich machen.
14:22 Uhr: Bin jetzt über dem deutschen Sehdauer-Schnitt und fühle mich auch so. Auf SAT . 1 streiten sich »Zwei bei Kallwass« gerade derart gestenreich, dass ich den Verdacht nicht loswerde, hier würden die Schauspieler entsorgt, die es nicht durchs Casting der Vormittagsserie »Sturm der Liebe« geschafft haben (die übrigens offenbar in denselben Kulissen gedreht wird wie »Rote Rosen«. Schön, dass die ARD unsere Gebühren so sparsam einsetzt).
16:10 Uhr: Bin ich noch im deutschen Fernsehen? Ständig werden mir Jingles ( sic !) um die Ohren gehauen, in denen mir geraten wird, mein Leben zu färben (»Colour your life«), mich »entertainen zu letten« und mich auf die Sendung »Big Pictures – History now!« zu freuen, äh, forward zu looken.
19 Uhr: Alle Gewinnspiele zusammengerechnet hätte ich heute 273500 Euro ergattern können – die ich auch gebraucht hätte, um alle angebotenen Produkte zu kaufen, inklusive der Kamera, zu der es, gegen eine ganz geringe Bearbeitungsgebühr von 9,95 Euro, eine Speicherkarte gratis mit dazu gibt.
20:15 Uhr, amtlicher Beginn des deutschen Feierabends. Aber was will der Deutsche nach einem Tag harter Arbeit? Den ironiefreien indischen Intellektbeauftragten Ranga Yogeshwar, der mit sorgenschwerer Miene und kleinen Eimerchen Kernschmelze nachspielt? Offenbar nicht, seine Sendung heißt Wissen VOR acht. Stattdessen: Neuigkeiten! Aus der weiten Welt! Um diesen Wissensdurst zu befriedigen, wurden hierzulande ganze Nachrichtensender gegründet. n-tv bringt gerade eine Reportage über »Monstermaschinen«, auf N 24 läuft ein Currywurst-Wettessen.
Es ist spät, die Zappfrequenz steigt in dem Maße, in dem der Glaube daran sinkt, einfach nur einen besonders schlechten Fernsehtag erwischt zu haben. Ich sehne mich zurück nach Lemmi, der sprechenden Socke. »Lemmi und die Schmöker« hieß die Sendung, da stellte jener Strumpf Bücher vor, indem ein magisches Schnäuztuch hochgehalten wurde, auf dem Szenen des Buchs als Film erschienen. Billigster Bluescreen-Effekt, weiß ich heute. Und gegen 3 D -Monster wie Camerons »Avatar« wirkt es wie, wie … na, eine sprechende Socke eben. Für mich war es trotzdem pure Magie.
Besonders wichtig auf stressigen Lesereisen ist eine ausgewogene, gesunde Ernährung – was Leichtes, das nicht groß belastet.
Nicht mal »Grey’s Anatomy« lief heute, eine US -Krankenhausserie, in der Patienten von Ärzten mit Modelmaßen und eleganten Fönfrisuren vor dem Tod und die Zuschauer vor der Verzweiflung gerettet werden, und gegen die bei uns produzierte und in billigen Sperrholzkulissen aufgenommene Arztschmonzetten etwa so dramatisch wirken, als spielten sie in der Kantine der Schwarzwaldklinik.
Die Grenzen zwischen den Programmen verwischen zu so später Stunde, irgendwo wird gerade jemand erschossen, Franzi van Almsick preist Bademode an, Lanzens Koch-Klon-Riege beugt sich händereibend über ein paar Töpfe, auf SAT.1 kündigt eine namenlose Blondine namenlose Promis an … Ich sehne mich danach, von Hans-Joachim Kulenkampff mit einem sonoren »Gute Nacht« ins Bett geschickt zu werden, sehne mich nach der Nationalhymne, dem Testbild, dem
––— Sendeschluss.
Mit einem seligen Lächeln auf den Lippen sinke ich schließlich in die Hotelkissen.
Wie würde Katja Burkhard sagen: Alleth wie thu Hauthe!
Tele-Yoga
Von Michael Kobr
Ein bisschen ist das mit den Lesereisen ja so wie früher. Ich meine, als die Eltern mal für eine Woche urlaubsbedingt nicht da waren und man dann allein zu Hause war, den ganzen Tag den Fernseher laufen hatte und sich eigentlich nur von belgischen Köstlichkeiten – also Pommes – ernährte, die wahlweise in der dottergelben Familienfriteuse oder aber im Backofen zubereitet
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