Zwei Esel Auf Sardinien
darf ich ganz alleine, da will er mich nicht stören. Aber hier! Ich bin erstaunt! Vielleicht merkt er gar nicht, dass er arbeitet, so angeregt ist das Gespräch unter den Männern. Worüber sie wohl reden? Ob sie ihm auch Fluchtgeschichten erzählen, oder sind es so typische Männergeschichten über alte Lieben, versoffene Nächte und ordentliche Schlägereien? Ich werde ihn später ausquetschen, nehme ich mir ganz fest vor. Heute Nacht werde ich ja gottlob endlich in meinem hoffentlich gemütlichen Hotelbett schlafen. Eine Gesichtsmaske werde ich mir auflegen, damit ich morgen bei der Hochzeit schön bin! Wenn bloß die Koffer angekommen sind, mein neues kobaltblaues Kleid wird gänzlich verknautscht sein! Aber es gibt bestimmt irgendwo ein Bügeleisen! Was mach ich mir über solche Kleinigkeiten Sorgen, nach den drei Tagen, die ich beinahe hinter mir habe?
So vergeht dieser Tag mit viel Lachen und Reden. Da wir fleißige Helfer sind, dürfen wir auch am Mittagstisch teilhaben. Es gibt Salat aus Hirse mit kleingeschnittenen Gemüsestückchen, das übriggebliebene Brot und den Käse. Man isst mit den Fingern, Afrika auf Sardinien, sehr lustig. Auch die anderen Frauen öffnen sich für Gespräche, und so erfahre ich Schicksale, die mich ganz demütig machen, angesichts meiner läppischen Unannehmlichkeiten der letzten Tage. Wie viel Grausamkeiten es auf dieser Welt gibt, und was ein Mensch alles aushalten kann. Welche Demütigungen er zu ertragen hat, wie er seinen Stolz begraben muss, um überleben zu können, und welche Heiterkeit er sich trotzdem bewahren kann. Niemand kann sich aussuchen, in welchem Teil dieser Erde er geboren wird, aber ein jeder hat die Möglichkeit, für ein besseres Leben zu kämpfen. Diese Menschen, die uns so freundlich aufgenommen haben und das bisschen, was sie haben, mit uns teilen, haben unter Einsatz ihres Lebens gekämpft. Ich hoffe für sie, nicht vergeblich.
Yassouf
Bruno
Es ist absolut windstill im Innenraum des Nuraghe. Er ist rund und nur ungefähr sieben Quadratmeter groß, und die am besten erhaltene Stelle des Gemäuers, wo wir Arm in Arm geschlafen haben, ist etwa anderthalb Meter hoch und zwei Meter im Durchmesser.
Obwohl es penetrant nach Ziegenbock stinkt, haben wir hier unter einer Heugarbe geschlafen. Diesen unerträglichen Moschusgeruch sondern Ziegenböcke normalerweise in der Paarungszeit ab. Es hat schon etwas gedauert, bis ich mich daran gewöhnt hatte, aber im Vergleich zur ersten Nacht war das gar nichts.
Yassouf, ein Afrikaner, den wir kurz nach dem Aufstehen kennengelernt haben und der jeden Morgen mit anderen Migranten hierherkommt, um in den Olivenhainen zu arbeiten, erzählt uns vom Besitzer des Hains, einem gewissen Marchese Valdes. Jedes Jahr produziert er in dieser Gegend feinstes Olivenöl und einen ausgezeichneten Wein. Vor vier Jahren hat er einen neuen Weinberg angelegt, um ein Zeichen für das Wiederaufblühen einer Gegend zu setzen, in der früher einmal der beste Cannonau, eine typisch sardische Rebsorte, hergestellt wurde, und um diesen fünfzehn jungen Migranten, fast alle von der Elfenbeinküste, Arbeit zu geben. Yassouf spricht voller Respekt und Bewunderung über seinen Padrone . Es ist schon ein wenig seltsam, einem schwarzen Einwanderer von der Elfenbeinküste zuzuhören, der perfekt Italienisch mit sardischem Akzent spricht, aber wetten, dass wir heute durch ihn wieder jede Menge Neues lernen werden?
Jutta und ich sind ganz hin und weg von diesem freundlichen Lächeln, seiner offenen Art und der Hingabe, mit der der junge Mann die Ohren unserer Esel streichelt. Fil’e und Ferru haben die ganze Nacht über friedlich geschlafen. Jetzt schreien sie und sind unruhig. Yassouf hat sie gerade vom Baum losgemacht, an dem wir sie am Abend festgebunden hatten, aus Angst, sie würden fortlaufen.
»Man braucht sie gar nicht so festzubinden, kein Wunder, dass sie sich nicht beruhigen. Beim nächsten Mal bindet das Halfter einfach einmal um die Fesseln …«
Unsere Maultiere genießen selig das Kraulen hinter den Ohren, und es dauert keine fünf Minuten, da fallen ihnen den Augen zu. Wenn man Yassouf so zuhört, möchte man am liebsten mehr von ihm wissen und verstehen. In Zeiten, wo man alles Fremde verteufelt und kein Verständnis zeigt, kann man ein wenig optimistischer in die Zukunft blicken, wenn man Menschen wie ihm begegnet. Im Gegensatz zu seinen Schicksalsgenossen aus Ghana oder dem Maghreb, die sich in ganz Süditalien ohne Papiere
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