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Zwei Geschichten von der See

Zwei Geschichten von der See

Titel: Zwei Geschichten von der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Amado
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großen Haupttisches den Vorsitz zu führen. Der Erste Offizier, der Zahlmeister, die Steuerleute, der Schiffsarzt lösten sich im Vorsitz der kleineren Tische ab. Er konnte daher nicht fehlen, überwand sich und schluckte zwei Pillen eines in einer Apotheke erstandenen Mittels, für dessen Wirkung der Verkäufer sich nachdrücklich verbürgt hatte. Wer weiß, vielleicht würde er im Speisesaal die Dame mit dem Pekinesen treffen und mit ihr ein Lächeln und ein Scherzwort wechseln können. Der Senator aus Rio Grande do Norte, Dr. Homero Cavalcânti, wartete schon hungrig und ungeduldig.
    Den Senator zur Rechten, zur Linken einen Bundestagsabgeordneten für Paraíba do Norte, Dr. Othon Ribeiro, einen Großgrundbesitzer und Bankier, gab der Kommandant seinen ersten Befehl an Bord: er ließ auftragen. Dann blickte er umher: Viele Plätze waren leer, die Dame mit dem Hündchen hatte es nicht gewagt, einem Meer mit Schaumkrönchen die Spitze zu bieten. Sehr schade!
    Der Senator und der Deputierte sprachen über Politik, die Nachfolge der Präsidentschaft war in vollem Gange, jenes Jahr 1929 war bewegt durch die Wahl der Kanditaturen von Júlio Prestes und Getúlio Vargas, durch die Bildung der Liberalen Allianz, die die Gouverneure von Rio Grande, Minas Gerais und Paraíba vereinigte. Der paraibanische Deputierte wollte die Staatsmacht von bevorstehenden verhängnisvollen Revolutionen bedroht sehen, er murmelte, Siqueira Campos, Carlos Prestes, João Alberto und Juarez Tavora seien heimlich, incognito unterwegs durch ganz Brasilien und stellten bewaffnete Massen für einen Aufstand auf die Beine.
    Der Senator lachte nur über diese Gerüchte: Das Land sei ruhig und zufrieden, es unterstütze das Arbeitsprogramm des hervorragenden Washington Luiz, das wiederum von seinem Nachfolger, dem nicht weniger hervorragenden Paulistaner Dr. Júlio Prestes, fortgeführt werden würde. Das ganze Gerede sei nichts als ein Sturm im Wasserglas, es gehe nicht über flammende Aufrufe der Gaucho-Redner João Neves, Batista Luzardo, Oswaldo Aranha hinaus. Wenn die Militärs, diese halbgesottenen Revoluzzer, es wagen sollten, ihr Exil im Plata-Becken aufzugeben und die Grenze zu überschreiten, würden sie unweigerlich von der Polizei aufgegriffen werden und ins Kittchen wandern. Der Kommandant beugte sich nach rechts und lauschte achtungsvoll den offiziösen Worten des Senators.
    »Polizei … Kittchen …? Hören Sie mal, mein verehrter Herr Senator, geben Sie sich da nicht einer gelinden Täuschung hin? Ihre Polizei ist keinen Schuss Pulver wert. Weiß denn mein illustrer Freund nicht, dass erst kürzlich Siqueira Campos in São Paulo gesehen wurde? Die Polizei war wie aus dem Häuschen und umstellte das Stadtviertel. Mittlerweile verließ er in Begleitung Dr. Julio de Mesquitas seelenruhig die Redaktion des ›Estado de São Paulo‹, als Pater verkleidet, mitten durch die Kette der Polizisten hindurch … Das weiß doch jedes Kind.«
    »Alles Geschwätz … Ich glaube kein Wort davon. Diese Fatzken vertreiben sich in Buenos Aires ihre Zeit damit, dass sie sich gegenseitig in den Haaren liegen. Sie würden es nicht wagen, den Fuß auf brasilianischen Boden zu setzen, dafür schreiben sie aber ellenlange Briefe nach Hause und betteln um Begnadigung. Es sind verdrehte, hirnverbrannte Laffen. Was übrigens nicht verwunderlich ist, wenn man sieht, dass selbst ein Artur Bernardes sich als Revolutionär verkleidet … Sie würden es nicht wagen …«
    »Würden sie’s nicht? Ist die Grenze etwa nicht Rio Grande do Sul?«
    »Getúlio Vargas ist nicht auf den Kopf gefallen, der wird sich nicht mit diesen Hitzköpfen einlassen. Die sollen eine Bewegung in Gang bringen, um Getúlio in den Catete-Palast zu bringen? Hätten sie wirklich eine Chance, würde Getúlio nie im Leben das Ruder in die Hand bekommen. Da würden vorher noch eher Isidore oder Prestes an die Reihe kommen. Denken Sie nicht auch, Herr Kommandant?«
    Vasco zog vor, nicht zu denken, besonders aber nicht auf seine Suppe, eine weiße widerliche Crèmesuppe zu sehen, die nichts weniger als zu einer stürmischen See passte. Er musste den Proviantmeister darauf aufmerksam machen, damit so ein Versehen nie wieder vorkäme, bei der Zusammenstellung des Menüs müsste unbedingt die Wettervoraussage in Betracht gezogen werden. Er schob den Teller weg, beschrieb eine vage Geste als Antwort in Richtung Senator und gab jede Hoffnung auf das Erscheinen der Dame mit dem Hündchen auf.

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