Zwei Geschichten von der See
mögen keine Zigarren? Das ist ja fast ein Verbrechen …«, lachte er.
»Gewohnheitssache. Entschuldigen Sie mich bitte, ich möchte ein bisschen ausruhen …«
»Schon so früh?«
»Ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir …«
»Dann wünsche ich Ihnen eine gute Nacht …«
Der Wind trieb ihm den Pestrauch der Zigarre in die Nase, eine schwere See hob das Schiff. Vasco eilte seiner Kajüte entgegen, der Arzt stieg die Leiter hinunter – glücklicherweise. Es war zu spät, um die ersehnte Türe zu erreichen. Da, wo er stand, beugte er sich über die Reling, Ehre und Leben würgten sich aus seinem Schlund, er glaubte, sein letztes Stündlein habe geschlagen, er kam sich schmutzig vor, gedemütigt, zu einem alten Fetzen erniedrigt. Furchtsam blickte er umher: kein Mensch in der Nähe. Er schleppte sich in seine Kajüte, schloss die Türe hinter sich ab und warf sich auf seine Koje, zu schwach, um sich auszuziehen.
Vom ITA , der unter der Sonne dahindampft, ein fast volksliedhaftes Kapitel, das man zur Musikbegleitung von »Ich nahm einen ITA im Norden« von Dorival Caymmi lesen sollte
Der Tag erwachte unter einer strahlend heißen, des Zweiten Juli würdigen Sonne, der Himmel war blank und das Meer eine blinkende Stahlplatte, die der stolze Bug des ITA -Dampfers durchschnitt. Als der Kommandant aus dem Bad stieg, der Frühstückskaffee in seiner Kammer aufgetragen war und der Steward ihm dienstbeflissen zulächelte, trug er den Kopf wieder hoch und sog die Seeluft ein, wie einst auf seinen Reisen nach Asien und Australien. Er trug die weiße Uniform und trällerte die Melodie jenes Liedchens der Tänzerin Soraia, das vom Meer und von Matrosen handelte.
In den Salons, in den Gängen und auf den Decks ergingen sich die typischen Passagiere jener ITA -Dampfer, die die brasilianische Küste von Porto Alegre nach Belém do Pará Jahr um Jahr hinauf- und hinunterfuhren. Also in einer Epoche, als die Flugzeuge, die Entfernungen verringernd, die Zeit verkürzend, noch nicht den Himmel durchrasten und damit der Reise ihren Reiz und ihren Zauber nahmen. Wie viel langsamer damals die Zeit verstrich, wie viel weniger wurde sie vertan als heute, wo der Mensch in seiner sinnlosen Eile immer darauf versessen ist, so rasch wie möglich anzukommen, so rasch wie möglich zu leben, so dass das Leben zu einem armseligen Abenteuer ohne Farbe und Duft, zu einem Rennen, einer Hast, einer Last wird.
Es gab drei Arten von ITA -Dampfern: die großen, die mittleren, die kleinen. Ihre Bequemlichkeit und Fahrtgeschwindigkeit waren verschieden, aber sie hatten eines gemeinsam: Sie waren fröhlich, reinlich, angenehm. Die Reise war ein Vergnügen: Man machte Bekanntschaften, man schloss Freundschaften, man bahnte Liebschaften und Verlobungen an, es gab keine bessere Hochzeitsreise für Neuvermählte, jeder Tag an Bord war ein Festtag.
Die großen ITAS liefen auf der Reise von Rio nordwärts nur die wichtigen Hafen- und Hauptstädte an, Salvador, Recife, Natal, Fortaleza, Belém. Die mittleren schlossen in ihre Route Vitória, Maceió, São Luís ein. Die kleinen dehnten ihre Reise aus und machten auch in Ilhéus, Aracaju, Cabedelo, Paraíba Zwischenlandung, um Passagiere aus- und einsteigen zu lassen. Der dem Kommando des Kapitäns auf großer Fahrt Vasco Moscoso de Aragão unterstellte Dampfer war ein großer ITA .
Eine rastlose fröhliche Menge bewegte sich auf ihm: Politiker, die ihre Wahlkreise besuchten oder von einem raschen Abstecher nach Rio heimkehrten; in jenem Jahr der Kampagne für die Präsidentenwahl herrschte reger Verkehr von Politikern, die voller Hoffnungen und Ambitionen die Küste abklapperten. Kaufleute und Industrielle fuhren mit ihren Familien von einem Ausflug in die Bundeshauptstadt, der das Angenehme mit dem Nützlichen verband, in ihre Heimatorte zurück. Junge Mädchen und würdige Matronen befanden sich auf der Rückreise von einem Besuch bei Verwandten in Rio oder São Paulo. Scharen von Studenten kehrten von der klassischen Diplom-Reise in den Süden nach Hause zurück und ließen unter Gelächter Erlebnisse von nächtlichen Bummeleien und Kabarettbesuchen, von Ausflügen, von Mädchenbekanntschaften und, manchmal auch, von landschaftlichen Eindrücken aufleben. Rekonvaleszente, die in Anbetracht der ungenügenden Krankenhausverhältnisse in ihren Staaten die Fachkenntnis und Pflege berühmter, kostspieliger Ärzte der Bundeshauptstadt aufgesucht hatten, um sich dort Operationen oder schwierigen
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