Zwei Geschichten von der See
kalt, einsam in sich hinein brummend. Er hatte auf anderen Wegen von der Nachricht erfahren, und auch er war auf der Suche nach den Freunden gewesen. Als er sie fand, schob er die Hand in eine der Taschen. Um zum Taschentuch zu greifen, sich die Tränen zu trocknen, dachte Sperling. Aber nein, aus den Tiefen der Tasche zog Flinkfuß einen kleinen grünen Frosch, blitzblanker Smaragd.
»Den hatte ich für Quincas aufgehoben, das ist der schönste, den ich je gefunden habe.«
9
An der Zimmertür streckte Flinkfuß den Arm aus, auf der Handfläche den Frosch mit seinen Glupschaugen. Sie blieben auf der Schwelle stehen, einer hinter dem anderen, der Schwarze Pastinha reckte seinen Riesenschädel, um etwas zu sehen. Flinkfuß ließ das Tier beschämt in die Tasche gleiten.
Die Familie unterbrach ihr angeregtes Gespräch, vier feindselige Augenpaare starrten der abgerissenen Gruppe entgegen. Das hat uns noch gefehlt, dachte Vanda. Der Gefreite Martim, der in Sachen gute Erziehung nur hinter Quincas selbst zurückstand, nahm den abgetragenen Hut vom Kopf und begrüßte die Anwesenden:
»Guten Abend, meine Damen und Herren. Wir wollten gern den Verstorbenen sehen …«
Er tat einen Schritt nach vorne, die Übrigen folgten ihm. Die Familie wich zurück, sie stellten sich um den Sarg. Sperling kam der Gedanke, dass es sich um einen Irrtum handeln musste, dieser Tote, das war doch nicht Quincas Wasserschrei. Nur am Grinsen erkannte er ihn. Alle vier waren sie völlig verdutzt, nie hätten sie sich Quincas so sauber und elegant vorstellen können, so gut gekleidet. Sie verloren einen Augenblick lang ihre Selbstsicherheit, und wie durch Zauberhand fühlten sie sich auf einmal nüchtern. Die Anwesenheit der Familie – vor allem der Frauen – machte sie beklommen und schüchtern, sie wussten nicht, wie sie sich verhalten, wohin sie die Hände legen, wie sich benehmen sollten in Anwesenheit des Toten.
Sperling sah die drei anderen an, lächerlich mit seinem zinnoberrot bemalten Gesicht und dem abgewetzten Frack, in seinen Augen die Bitte, so schnell wie möglich abzuziehen. Der Gefreite Martim zögerte wie ein General am Vorabend einer Schlacht, den Blick auf die Feindesmacht gerichtet. Flinkfuß machte sogar einen Schritt Richtung Tür. Nur der Schwarze Pastinha, der immer noch hinter den anderen stand, den großen Kopf vorgestreckt, um etwas zu sehen, schwankte nicht eine Sekunde. Quincas lag da und lächelte ihm zu, und der Schwarze lächelte zurück. Keine menschliche Macht würde ihn von dort wegreißen können, weg von Väterchen Quincas. Er fasste Flinkfuß am Arm, antwortete mit den Augen auf Sperlings Bitte. Der Gefreite Martim begriff: Ein Soldat ergreift auf dem Schlachtfeld nicht die Flucht. Die vier traten vom Sarg zurück, gingen ans hintere Ende des Zimmers.
Da waren sie jetzt und schwiegen, auf der einen Seite die Familie von Joaquim Soares da Cunha, Tochter, Schwiegersohn und Geschwister, auf der anderen Seite die Freunde des Quincas Wasserschrei. Flinkfuß griff in die Hosentasche, streichelte den verängstigten Frosch, wie gerne hätte er ihn Quincas vorgeführt! Als folgten sie einer Choreographie, näherten sich die Freunde, während sie vom Sarg zurücktraten, den Verwandten. Vanda maß ihren Vater mit einem geringschätzigen und vorwurfsvollen Blick. Noch im Tod gab er der Gesellschaft dieser Vogelscheuchen den Vorzug.
Auf sie also hatte Quincas gewartet, seine Unruhe vom späten Nachmittag erklärte sich allein aus ihrer Verspätung, aus der Saumseligkeit dieser Herumtreiber. Als Vanda ihren Vater endlich besiegt glaubte, bereit, die Waffen zu strecken und die schmutzigen Worte von seinen Lippen zu tilgen, niedergerungen durch den stillen, würdevollen Widerstand, mit dem sie all seinen Provokationen begegnet war, da erstrahlte erneut das Grinsen auf dem toten Gesicht, und mehr als je zuvor war es die Leiche des Quincas Wasserschrei, die sie da vor sich sah. Wäre nicht das gekränkte Andenken an Otacília gewesen, sie hätte den Kampf aufgegeben, den unwürdigen Leichnam im Tabuão liegen lassen, hätte die Bahre, die sich als so nutzlos erwiesen hatte, zurück zum Bestatter gebracht und die neue Kleidung zum halben Preis an irgendeinen Trödler verkauft. Das Schweigen wurde schier unerträglich.
Leonardo wandte sich an seine Frau und die Tante:
»Ich denke, ihr solltet bald gehen. Es wird allmählich spät.«
Minuten zuvor hatte Vanda sich nichts sehnlicher gewünscht, als nach Hause zu
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