Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwei Geschichten von der See

Zwei Geschichten von der See

Titel: Zwei Geschichten von der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Amado
Vom Netzwerk:
der Priester schon hier gewesen war, oder kam der erst morgen? Die Frage kratzte ihm im Hals, er konnte nicht widerstehen:
    »War der Priester schon da?«
    »Der kommt morgen früh …«, antwortete Marocas.
    Vanda sah sie missbilligend an: Was unterhielt sie sich mit diesem Gesocks? Aber seit der Respekt wiederhergestellt war, fühlte Vanda sich schon besser. Sie hatte die Herumtreiber in eine Zimmerecke verbannt, hatte für Ruhe gesorgt. Letztendlich würde es ihr nicht möglich sein, die Nacht hier zu verbringen. Weder ihr noch Tante Marocas. Anfangs hatte sie eine vage Hoffnung gehabt: dass Quincas’ unmögliche Freunde nicht bleiben würden, schließlich gab es bei dieser Totenwache nichts zu trinken oder zu essen. Sie wusste nicht, warum sie noch immer im Zimmer waren, wohl kaum aus freundschaftlicher Verbundenheit mit dem Toten, dieses Pack ist doch niemandem verbunden. Nun ja, selbst die unangenehme Präsenz dieser sogenannten Freunde war ohne Bedeutung. Solange sie sich tags darauf nicht dem Trauerzug anschlossen. Am Morgen, wenn sie zur Beerdigung wiederkam, würde sie das Ruder wieder fest in der Hand halten, die Familie wäre wieder allein mit der Leiche, sie würden Joaquim Soares da Cunha bescheiden und würdig beisetzen. Vanda erhob sich vom Stuhl, wandte sich an Marocas:
    »Gehen wir.« Und zu Leonardo: »Bleib nicht allzu lange, ein bisschen musst du schon schlafen. Onkel Eduardo hat ja gesagt, dass er die Nacht über bleibt.«
    Eduardo nickte, während er den Stuhl in Beschlag nahm. Leonardo machte sich auf, die beiden Frauen zur Straßenbahn zu begleiten. Der Gefreite Martim riskierte ein: »Gute Nacht, die Damen«, erhielt keine Antwort. Nur das Kerzenlicht erleuchtete den Raum. Der Schwarze Pastinha schlief, mit einem Schnarchen, dass einem angst und bange wurde.

10
    Um zehn Uhr abends stand Leonardo von dem Ölkanister auf, ging hinüber zu den Kerzen, sah auf die Uhr. Er weckte Eduardo, der mit offenem Mund schlief, in unbequemer Haltung auf dem Stuhl:
    »Ich gehe jetzt heim. Um sechs bin ich wieder da, dann hast du Zeit, nach Hause zu gehen und dich umzuziehen.«
    Eduardo streckte die Beine aus, dachte an sein Bett. Ihm tat der Nacken weh. In der Zimmerecke unterhielten sich leise Sperling, Flinkfuß und der Gefreite Martim, vertieft in eine aufregende Diskussion: Wer von ihnen würde Quincas’ Platz im Herzen und im Bett Quitérias von den Aufgerissenen Augen übernehmen? Der Gefreite Martim widersetzte sich auf abscheulich egoistische Art dem Ansinnen, auf das Erbe zu verzichten, nur weil er bereits das Herz und den schlanken Körper der kleinen Schwarzen Carmela besaß. Als Leonardos Schritte auf der Straße verhallten, ließ Eduardo seinen Blick über die Gruppe schweifen. Die Diskussion kam zum Stillstand, der Gefreite Martim schenkte dem Kaufmann ein Lächeln. Dieser beäugte neidisch den Schwarzen Pastinha, der im schönsten Schlummer lag. Er lehnte sich wieder im Stuhl zurück, legte die Füße auf den Ölkanister. Der Nacken tat ihm weh. Flinkfuß hielt es nicht mehr aus, zog den Frosch aus der Tasche und setzte ihn auf dem Boden ab. Das Tier vollführte ein paar lustige Sprünge, eine im Zimmer freigelassene Erscheinung. Eduardo konnte nicht wieder einschlafen. Er sah den Toten an, der reglos im Sarg lag. Das war der Einzige, der es hier bequem hatte. Warum zum Henker war er eigentlich noch da und hielt Wache? Reichte es nicht, zur Beerdigung zu gehen, kam er nicht schon für einen Teil der Kosten auf? Eigentlich erfüllte er seine Bruderpflicht im Übermaß, vor allem wenn man bedachte, dass es um einen Bruder wie Quincas ging, der zu Lebzeiten eine Last gewesen war.
    Er stand auf, streckte sich, öffnete den Mund zu einem Gähnen. Flinkfuß versteckte den kleinen grünen Frosch in der Hand. Sperling dachte an Quitéria von den Aufgerissenen Augen. Was für eine Frau … Eduardo blieb vor ihnen stehen:
    »Sagt mal …«
    Der Gefreite Martim, Psychologe aus Berufung und Notwendigkeit, nahm Haltung an:
    »Zu Befehl, Herr Kommandant.«
    Wer weiß, vielleicht gab der Kaufmann am Ende Weisung, etwas zum Trinken zu holen, damit sich die lange nächtliche Überfahrt besser ertragen ließ?
    »Ihr bleibt die ganze Nacht da, was?«
    »Hier bei ihm? Jawohl, Herr Kapitän. Wir waren seine Freunde.«
    »Dann gehe ich mal nach Hause, mich etwas ausruhen.« Er griff in die Tasche, zückte einen Schein. Die Augen des Gefreiten und die von Sperling und Flinkfuß folgten seinen Bewegungen.

Weitere Kostenlose Bücher