Zwei Geschichten von der See
Schönheit von saftiger Reife, sie hatte Augen mit langen schwermütigen Wimpern, ihr Körper verzehrte sich klagend in der Sonne des Strandes: Wozu hatte man einen Mann, wenn er einem an den trägen Nachmittagen Periperis keine Gesellschaft leistete? Der Herr Oberstleutnant aß gegen zehn Uhr vormittags zu Mittag und rannte dann zum Bahnhof, um seinen Zug zu erwischen; der Stundenplan seiner Truppe war streng. Erst kurz vor sieben Uhr abends kam er heim, zog seinen Pyjama an, aß zu Abend, setzte sich in einen Liegestuhl vor die Türe und entschlummerte sanft. Hieß das verheiratet sein und einen Mann haben, der verpflichtet war, sie zärtlich zu umhegen, für das Wohlbefinden ihres Leibes und ihrer Seele zu sorgen? So fragte sich, sehnsüchtig und verlassen am Strand hingestreckt, Ruth de Morais Miranda, während die Sonne ihren Körper durchglühte und die Verlassenheit an ihrer Seele nagte.
Tief gerührt über die Schwermut der Frau Oberstleutnant und über ihr heftiges Bedürfnis nach seelischem Beistand, nach Gesellschaft, die ihre schmerzliche Vereinsamung brechen sollte, zögerte der junge Paiva keinen Augenblick, ihr einige Stunden seiner mit angenehmen Obliegenheiten angefüllten Tage zu opfern. Sofort gab er Spaziergänge auf, spannende Fußballwettkämpfe am Strand, aufschlussreiche Unterhaltungen mit Kommilitonen, ja einen vielversprechenden Flirt. Das war hochherzig und lobenswert gehandelt von einem Menschen, der das Herz auf dem rechten Fleck hatte. Da die lebenshungrige Dame ihre Nachmittage in Periperi nicht mit Kinobesuchen, Teevisiten und Einkäufen in der Rua Chile ausfüllen konnte, stellte er seine Gaben, seine Jugend und ein schüchtern-verführerisches Schnurrbärtchen in den Dienst der Trostlosen, Bekümmerten.
Andrerseits gelang es schließlich dem Oberstleutnant, eines Tages sich der Strenge des soldatischen Stundenplanes zu entziehen. Er wollte sein Frauchen überraschen, das nicht müde wurde, sich über sein langes Ausbleiben zu beschweren. Wenn er, bei Einbruch der Nacht nach Hause kehrend, sie nämlich in seine Arme schließen wollte, hatte die in ihrem Frauenstolz Verletzte ihn rachsüchtig zurückgestoßen:
»Du lässt mich den ganzen Tag allein, als ob ich überhaupt nicht da wäre …«
So kaufte er denn zwei Pfund Trauben, Ruths Lieblingsfrucht, die sie stets genießerisch zwischen den Zähnen auspresste. Er kaufte einen Käse, außerdem eine Büchse Quittenpaste. Er nahm den Zug um zwei Uhr dreißig nachmittags, Ruth würde einsam und traurig auf ihn warten, die Arme …
Sie war weder einsam noch traurig. Kaum hatte der Oberstleutnant die Schwelle seines Hauses überschritten, als er die erste Überraschung erlebte: Bei seinem Anblick verschwand Zefa, die Hausangestellte, die dem Ehepaar seit Jahren treu ergeben diente, hilfeschreiend durch die Hintertür. Aus dem Schlafzimmer drangen fröhliche Laute, Ruths Lachen und ein zweites Lachen – großer Gott! Mit den an seinen Fingern baumelnden Paketen, die Weinflasche unter den Arm geklemmt, stieß Ananias mit einem Fußtritt die Tür zum Alkoven auf. Als Mensch ohne Schönheitsgefühl ließ er sich weder von dem Schauspiel der jungen nackten Körper noch von der Poesie der zwischen dem begabten Studenten und der bildschönen Oberstleutnantsfrau ausgetauschten Zärtlichkeiten hinreißen. Er quoll nicht über vor Bewunderung, sondern vor Wut, seine Pakete störten ihn – er hatte die Finger in die Bändel verwickelt – und raubten ihm einen Teil seiner für einen solchen Auftritt nötigen Würde. Was den jungen Paiva rettete. Ohne sich um seine Kleider zu kümmern, sprang er aus dem Bett, stieß das Fenster auf und erreichte die Straße. Nackt wie Gott ihn erschaffen hatte, rannte er im Sprintertempo über den menschenwimmelnden Platz. Endlich befreit von seinen Päckchen, die Pistole gezückt, erschien der Oberstleutnant auf der Straße und verfolgte den Flüchtigen mit Schimpfworten und Schüssen. Durch das offene Fenster konnten die kühneren Gaffer noch die nackte, für ihre Einsamkeit getröstete Ruth sehen, die wehklagend ihre Unschuld beteuerte.
Der Student verschwand von der Bildfläche und fand bei seiner Familie oder bei Freunden Unterschlupf. Es folgten lange Erklärungen zwischen dem Offizier und seiner Ehefrau hinter geschlossenen Türen. Koffer wurden gepackt und noch am selben Abend mit dem letzten Zug spediert. Nach den Aussagen einiger Glückspilze, die der Abreise beiwohnen konnten, benahmen sich die
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