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Zwei Geschichten von der See

Zwei Geschichten von der See

Titel: Zwei Geschichten von der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Amado
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Wahrheit in ihrer Nacktheit auch nur teilweise zu verhüllen vermögen. Wenn ich auch die Gelegenheit gehabt habe, am eigenen Leib, richtiger gesagt, am goldbraunen Leib Dondocas festzustellen, dass die völlige Nacktheit nicht immer verführerischer ist als jene halb versteckte, halb sichtbare Nacktheit unter einem Bettlaken oder einem Stofffetzen, der einen Busen, ein Bein oder eine geschwungene Hüfte verhüllt. Aber schließlich suchen wir die Wahrheit nicht mit so viel Verbissenheit und Verbitterung in der ganzen Welt, nur um uns mit ihr ins Bett zu legen.
    Von der Landung des Helden in Periperi und seiner Vertrautheit mit dem Meer
    »Vorwärts, Jungs!«
    Eine Stimme, die gewohnt ist zu befehlen. Ein Mann, der, die Hand fest am Steuerrad, die Augen wachsam wie ein Kompass, eine Überfahrt geleitet hat. Er machte eine Handbewegung, die die Marschrichtung anzeigen sollte, und stieg die drei Stufen vom Bahnsteig auf die Straße hinunter.
    Alsbald bildete sich eine Art Zug durch den Strandort. An der Spitze, entschlossen, gelassen, der Kommandant. Einige Schritte dahinter Caco Podre und Misael, die beiden Gepäckträger, mit einem Teil seiner Koffer. Caco Podre hatte zu jener Stunde bereits sein übliches Gläschen gekippt, und sein Schritt war unsicher; der »Junge«, mit dem der soeben Angekommene ihn angeredet hatte, stand ihm nicht übel zu Gesicht. Gleich anschließend trotteten in einer ständig wachsenden Gruppe unter anhaltendem Getuschel die Gaffer, da das Steuerrad auf Misaels Kopf einen starken Anziehungspunkt zu bilden schien.
    Der Kommandant ging nicht unmittelbar zu seinem Hause, sondern beschränkte sich darauf, es den Trägern zu zeigen, und schritt weiter zum Strand. Dort drang er bis zu den Felsen vor und machte kurz halt, um diese mit Kennermiene zu prüfen; dann begann er den Aufstieg. Hoch waren sie nicht, die Felsen, auch nicht steil, nur eine sanfte Rampe, auf der an Sommertagen die Kinder hinauf- und hinunterkrabbelten und wo sich nachts Liebespärchen versteckten. Aber in der Haltung des Kommandanten lag so viel Würde, dass alle die Schwierigkeit des Unternehmens begriffen, als hätte sich der bescheidene Felsenhang mit einem Mal in eine steile Felswand verwandelt, die bisher nie von einem Menschen bezwungen worden war.
    Als er den Kamm erreichte, blieb er, die Arme vor der Brust verschränkt, stehen und betrachtete das Meer. So unbeweglich dastehend, das Gesicht der Sonne zugewandt, das Haar dem Winde überlassen – jener sanften, unablässigen Brise von Periperi, glich er einem strammstehenden Soldaten, oder, angesichts seiner eindrucksvollen Haltung, dem Bronzestandbild eines Generals. Er trug einen merkwürdigen uniformartigen Rock, blau und dick, mit breitem Kragen. Nur Zequinha Curvelo, ein eifriger Leser von Abenteuerromanen, erriet, dass da ein leibhaftiger Seemann vor ihnen stehe, dessen Heimat das Schiff und die stürmische See war. Flüsternd gab er seinen Eindruck an die anderen weiter: Jener Rock gleiche einem, den er auf dem Einband eines Seeabenteuerromans, der Geschichte eines schmächtigen Seglers auf riffdurchfurchter sturmgepeitschter See, gesehen habe. Der Seemann auf dem Umschlag habe einen solchen Rock getragen.
    Jene Regungslosigkeit dauerte nur einen Augenblick und doch einen langen, fast ewigen Augenblick, der das Bild den Nachbarn fest einprägte. Dann streckte er den kurzen Arm in einer langen Geste aus und sprach:
    »Hier sind wir, Ozean, von neuem vereint.«
    Wieder verschränkte er die Arme vor der Brust, es war eine Bestätigung und zugleich eine Herausforderung. Sein Blick umfasste die ruhigen Gewässer des Golfes, in dessen gastlicher Bucht Meer und Fluss verschmolzen. In der Ferne waren ankernde schwarze Schiffe zu sehen und schnelle Fischerboote, deren weiße Segel in den heiteren Himmel der Seelandschaft stachen. Sein Blick und seine unbewegliche Haltung offenbarten die uralte Vertrautheit mit dem Meer, gewachsen aus Liebe und Hass, aus starken Erlebnissen; selbst jene friedlichen Gemüter fühlten sie, denen Abenteuer und Heldentum fremd waren. Gerechterweise muss Zequinha Curvelo von ihnen ausgenommen werden, denn er lebte von nichts anderem – er, der Dreigroschenromane verschlang und, mit Piraten und Pionieren wie seinesgleichen umgehend, geradezu dafür prädestiniert war, der Protoprophet, der Johannes der Täufer und Herold des gelandeten Helden zu sein.
    Als dann der Kommandant die Felslehne hinabstieg und, wie im Selbstgespräch, »Fern vom

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