Zwei Geschichten von der See
Meer kann ich nicht leben …« murmelte, betrat er zugleich endgültig den Kreis seiner neuen Bewunderer und Mitbürger. Indessen schien er sie nicht zu sehen, sich kaum ihrer Gegenwart und Neugierde bewusst zu werden.
Als ob jede seiner Gebärden genau berechnet wäre, maß er zuerst die Entfernung, die ihn von dem am Strand liegenden Haus trennte, dessen Fenster auf das Meer gingen. Dann trat er auf die Türe zu und begann zu entern. Aufmerksam verfolgten die Nachbarn seine Bewegungen: das runde gerötete Gesicht, die üppige Silbermähne, den Seemannsrock mit glänzenden Metallknöpfen. Als der Marsch begann, hatte Zequinha Curvelo bereits seinen Posten zwischen dem Kommandanten und dessen Gefolgschaft eingenommen.
Inzwischen waren die Träger mit dem übrigen Gepäck angekommen, der Kommandant erließ genaue, kategorische Befehle. Koffer, Betten, Schlafzimmerschränke, Gitter und Kisten waren im Wohnzimmer abzustellen.
Erst jetzt, nachdem die Arbeit getan war, schien er von der kleinen Menschenansammlung, die ihn von der Straße aus betrachtete, Kenntnis zu nehmen. Er lächelte, begrüßte sie mit einem Neigen des Kopfes und legte die Hand auf die Brust in einer Gebärde, der etwas Orientalisches, Exotisches anhaftete. Ein im Chor gerufenes »Einen schönen Nachmittag wünschen wir« beantwortete seinen Gruß. Zequinha Curvelo nahm sich ein Herz und schritt auf die Türe zu.
Der Kommandant zog gerade aus einer seiner weiten Rocktaschen einen unerwarteten Gegenstand, anscheinend einen Revolver, vor dem Zequinha zurückwich. Wenn es kein Revolver war, was war es dann? Der Kommandant steckte ihn in den Mund, es war eine Pfeife, aber nicht etwa eine einfache Pfeife – was in dem friedlichen Vorstädtchen ohnehin etwas Ausgefallenes war, sondern eine reichgeschnitzte Meerschaumpfeife: Der Pfeifenhals stellte Beine und Schenkel, der Kopf Rumpf und Kopf einer nackten Frau dar. »Oh!«, murmelte Zequinha, starr vor Staunen.
Als er sich von seiner Verwunderung erholt hatte, zog sich der neu angekommene Nachbar gerade aus der Türe zurück. Zequinha trat rasch vor und bot seine Dienste an, könne er ihm irgendwie behilflich sein?
»Vielen, vielen Dank …«, lehnte der Kommandant ab. Dann entnahm er seiner Brieftasche eine Besuchskarte und reichte sie Zequinha mit den Worten: »Ein alter Seemann, zu Diensten.«
Später sah man ihn, wie er mit Hilfe der Träger im Wohnzimmer mit Hammer und Brecheisen Kisten öffnete. Dabei kamen seltene Instrumente zum Vorschein, darunter ein riesiges Fernglas, ein Kompass. Eine Weile noch blieben die Neugierigen in der Nähe stehen und schauten zu. Dann gingen sie fort, um die Neuigkeit zu verbreiten, wobei Zequinha die ankergeschmückte Visitenkarte vorzeigte:
Kommandant VASCO MOSCOSO DE ARAGÃO
Kapitän auf großer Fahrt
So spielte sich an jenem tiefblauen Frühnachmittag seine Ankunft in Periperi ab, bis er dann mit einem Schlage seinen Ruf begründete und sein Ansehen festigte.
Wo von Rentnern und Ruheständlern die Rede ist, von Frauen am Strand und im Bett, von durchbrennenden höheren Töchtern, von finanziellem Ruin und Selbstmord und von einer Meerschaumpfeife
Ein günstiges Klima, gemischt aus Tragödie und Mysterium, war dem denkwürdigen Ankunftstag des Kommandanten vorausgegangen, als hätte das Schicksal die Bevölkerung auf die bevorstehenden Ereignisse vorbereiten wollen.
Nur sehr selten pflegt in den Monaten März bis November etwas Unerwartetes die Eintönigkeit unseres Vorstadtlebens zu unterbrechen, weil sich nur in den drei Ferienmonaten Dezember, Januar und Februar alle jene Vorstädte der Leste Brasileira – der Ost-Brasilianischen Eisenbahnlinie –, von denen Periperi die größte, einwohnerreichste und schönste ist, mit Sommergästen füllen. Viele der hübschesten Wohnhäuser, die städtischen Familien gehören, sind fast das ganze Jahr geschlossen und werden nur im Sommer geöffnet. Dann wird Periperi von einer fröhlichen Jugend überschwemmt und lebt plötzlich auf: Halbwüchsige spielen Fußball am Strand, junge Badeschönheiten liegen im sonnigen Sand, Boote kreuzen auf dem Wasser, man unternimmt Ausflüge und Picknicks, gibt Tanzereien, trödelt unter den Bäumen des Stadtplatzes oder im Schatten der Strandfelsen.
Von den Erinnerungen dieser drei Monate, vom Klatsch über Geschichten und Ereignisse der vergangenen Sommersaison lebt die dort ansässige Bevölkerung während der anschließenden neun Monate. Man erinnert sich an
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