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Zwei Geschichten von der See

Zwei Geschichten von der See

Titel: Zwei Geschichten von der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Amado
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Rufino, eines Siebzigjährigen. Jeden zweiten Donnerstag kam er verlässlich um Punkt drei Uhr nachmittags. Man hörte seinen keuchenden Atem im Treppenhaus, wenn der Kuckuck im Wohnzimmer die Stunde ankündigte. Er zahlte gut, der Herr Richter, forderte aber dafür blutjunge Dingerchen wie Mimi, etwa im Alter seiner Enkelin. Stets brachte er eine Tüte mit Süßigkeiten und Bonbons mit und küsste Carol die Hand.
    Kaum hatte sich der Herr Richter im Schlafzimmer Mimis eingeschlossen und begonnen, sich die Schnürstiefel aufzuknöpfen, um danach die Unterhose auszuziehen, als das Getöse des Überfallkommandos ihn aufhorchen ließ:
    »Was ist denn das für ein Lärm?«
    Mimi wusste es nicht, sie lag nackt im Bett und schnabulierte Petits Fours und Konfekt. Vom Wohnzimmer her tönte ein verzweifelter Schrei, es war Carol, die um Hilfe rief. Mimi sprang aus dem Bett, öffnete die Türe, der Richter kopflos hinterher, einen Fuß in der Hose, den anderen außerhalb, die eingefallene Brust nackt, die schlotternden Beine in Baumwollunterhosen.
    Carol lag im Stuhl, den Mund mit einem Taschentuch geknebelt, während das Schießeisen eines Maskierten ihr auf die Brust deutete. Aus Dorothys Zimmer hörte man wirre Geräusche. Noch immer den Gewehrlauf auf Carols Busen gerichtet, drehte der Maskierte sich nach Mimi und dem entsetzten Amtsrichter um:
    »Ihr zwei da … Keinen Schritt weiter, sonst passiert was …«
    »Ich habe doch nichts getan …«, greinte der Alte. »Lassen Sie mich nach Hause, mein Sohn ist Abgeordneter, um des Himmels willen …«
    »Noch einen Schritt, und es gibt Zunder …«
    »Worauf hab ich mich nur eingelassen, Herr des Himmels … Was wird man sagen, wenn man erfährt … Um der heiligen Liebe willen, lassen Sie mich doch gehen …«
    Aus Dorothys Zimmer drang Robertos flehende Stimme:
    »Töten Sie mich nicht … Ich habe nichts mit ihr zu schaffen … Ich bin nicht der Erste gewesen, das wird sie Ihnen bestätigen. Als ich sie kennenlernte, war sie schon angestochen … Sie soll es selbst bezeugen …«
    Roberto sah nämlich in den Räubern empörte Angehörige Dorothys, rachsüchtige Wäldler, die aus Feira de Sant’Ana gekommen waren, um die Ehre des jungen Mädchens mit Blut reinzuwaschen. Und zwar mit dem Blut des Verführers; sicherlich mussten die Leute denken, er habe sie vom rechten Wege abgebracht und zu einer Hure gestempelt. Er versuchte zu erklären, er habe sie an einer Straßenecke gefunden, entjungfert und halb verhungert. Mit gezückter Waffe geboten die Banditen ihm Schweigen. Einer von ihnen hatte ein Seil bei sich – er war ein Meister im Knoten – und fesselte ihn an Armen und Beinen. Ein anderer mit näselnder Stimme befahl Dorothy, sich anzuziehen und ihren Koffer zu packen. Sie zogen mit ihr ab, ließen Roberto mit schweißperlender Stirne und weitaufgerissenen Augen zurück und raunten ihm einen letzten Rat zu:
    »Stell ihr nie mehr nach, wenn dir dein Leben lieb ist!«
    Im Wohnzimmer hatte sich der andere Räuber auf einen Stuhl vor Carol gesetzt, um ihr bequemer die Knarre auf die Brust setzen zu können, und befahl Mimi:
    »Komm her … Ganz nah neben mich, hab keine Angst.«
    Die Stimme erinnerte Mimi an eine andere ihr vertraute Stimme, sie erkannte sie fast. Aber was für ein Blödsinn, wie sollte jener Maskierte Leutnant Lídio sein? Sie gehorchte dem Befehl und schlich näher. Mit der freien Hand strich der Strauchdieb ihr über das nackte Fleisch und zog sie auf seinen Schoß. Der Richter fühlte eine Ohnmacht nahen, sein Magen rumorte, die Kolik war nah.
    Die anderen traten aus Dorothys Kammer, einer von ihnen trug den Koffer. Mimi wurde von dem reizenden Wegelagerer getrennt – er roch nach demselben Parfüm, das Leutnant Lídio benutzte, wie komisch!; rückwärts, die Waffen gegen den entwürdigten Richter gerichtet, gewannen die Eindringlinge die Treppe und trabten eilends hinunter. Der Herr Richter Rufino murmelte:
    »Ich brauche jetzt unbedingt ein Bad …«
    Carol, von ihrem Knebel befreit, bediente zuerst den alten Herrn, sie hatte trotz des sorgfältig ausgearbeiteten Plans ganz vergessen, dass der Überfalltag der dritte Donnerstagnachmittag des Monats und somit der Tag des Richters gewesen war. So schickte sie ihn in Begleitung von Mimi, einem neuen Stück Seife und einem frischen Handtuch ins Badezimmer. Dann befreite sie Roberto und unterhielt sich eine gute Weile mit dem jungen Arzt. Es sei doch besser für die Ruhe aller, wenn

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