Zwei Geschichten von der See
dem Freundesausschuss erklärt. »Er hat ein Herz wie ein Maulesel. Der wird uralt, wie sein Großvater …«
»Scheiße!«, rief der Hafenkommandant Georges Dias Nadreau. »Ich muss den Grund für den Kummer dieses Menschen ergründen. Ich gehe jede Wette ein, dass ich’s herausfinde.«
»Vasco ist eben so, es wird in seiner Natur liegen, warum zerbrecht ihr euch den Kopf?«, philosophierte der Arzt, für den nur körperliche Nöte existierten.
»Weil ich traurige Leute nicht sehen kann. Noch viel weniger, wenn’s ein Freund von mir ist.«
Nun begann die »Phase des großen Verhörs«, wie Jerônimo das nannte. Man suchte Vasco auf, und Kapitän Georges begann ihm auf den Zahn zu fühlen, die verschiedensten Themen anzuschneiden, um ihn auf diese Weise auszuhorchen. Er stocherte in der Kindheit, in der Jugend des Freundes, in seiner Kontorzeit herum, sondierte seine Reisetätigkeit, seine ersten Liebschaften und Zukunftspläne. Der Hafenkommandant begnügte sich nicht damit, den Kaufmann zum Sprechen zu bringen. Er besprach sich mit Menendez, mit dem Schweden Johann – der, noch immer verknallt in Soraia, mit dieser zusammenlebte; sogar mit dem Schwarzen Giovanni hatte er eine lange Aussprache. Fruchtloses Forschen, das zu nichts führte. Nie war Georges einem Menschen begegnet, der so viele Gründe hatte, fröhlich und restlos glücklich zu sein. Warum also seine seltsame Traurigkeit?
Aber alles im Leben hat ein Ende, selbst das eifersüchtig gehütete Geheimnis. Alles kommt einmal an den Tag, jedes Mysterium findet einmal seine Erklärung. Es geschah an einem großen Saufabend, als der Geburtstag des Leutnants Lídio Marinho und seine Verlobung gefeiert wurden. Dieser hatte sich am gleichen Nachmittag in kleinem Kreise mit der Tochter eines Fazendeiros aus dem Süden des Staates verlobt, die Hochzeit war für Dezember anberaumt worden.
Man hatte schon früh, vor der Feier, zu trinken begonnen. Man trank während des Abendessens, das der Schwiegervater in seinem Haus in Campo Grande gab, weiter – portugiesischen Wein und französischen Champagner. Als der Kreis von Freunden und Frauen in die Pension Monte Carlo kam, war der Saal mit Girlanden geschmückt, die Mädchen hatten sich feingemacht, Kellner und Orchester waren auf dem Posten, alle anderen Kunden waren verbannt. Carol hatte als ergreifenden Beweis ihrer Freundschaft an jenem Abend alle fremden Klienten zurückgewiesen und die gesamte Pension für die kleine Gruppe reserviert.
Der Freundeskreis war bei einem so wichtigen Anlass stark angewachsen. Offiziere des 19 . Jägerbataillons, der Hafenkommandantur, der Militärpolizei, Kollegen aus dem Regierungspalast waren gekommen. Hafenkommandant Nadreau war von Pension zu Pension, von Bordell zu Bordell gepilgert und hatte alle alten Liebchen des Leutnants als Überraschung zusammengetrommelt. Alle diese Frauenzimmer hatte er in die Pension Monte Carlo bestellt, unter ihnen Madame Lulu, die den Auftrag bekam, die Begrüßungsansprache für Lídio im reinsten Französisch der Pariser »maisons-closes« zu halten. Georges und Vasco hatten die Festleitung übernommen, sie wollten etwas nie Dagewesenes bieten und jede bisherige Veranstaltung in den Schatten stellen. Als sie zum Verlobungsessen kamen, hatten sie bereits hoch geladen, der Kapitän lachte unablässig, und der Kaufmann war in sich gekehrt wie immer, wenn er stark getrunken hatte. In jeder Pension und in jedem Bordell, das sie besuchten, kippten sie ein Gläschen; einen Trunk abzulehnen wäre eine Taktlosigkeit gegen Madame und die Mädchen gewesen.
Es war wirklich ein unvergleichliches Fest, ein denkwürdiges Gelage, eine Sauferei, die in die Annalen der Stadt gehörte, denn gegen Morgen veranstalteten die Festteilnehmer – die Männer in Unterhosen, die Frauen in Korsetts – eine Parade auf dem Theaterplatz, zum Gaudium der Nachtschwärmer und vor den machtlosen Blicken der Schutzleute. Wenn diese hier eingreifen wollten, mussten sie den Verstand verloren haben, denn an der Spitze des Zuges, eine Sektflasche schwenkend und mit näselnder Stimme singend, erkannten sie Dr. Jerônimo Paiva, den Neffen des Gouverneurs.
Auf der Höhe des Festes, als die Stimmung Wogen schlug und Madame Lulu ihre Cancan-Nummer dargeboten hatte, sagte Georges zu dem Obersten Pedro de Alencar, auf Vasco deutend, dessen Traurigkeit mit jedem Glas zunahm:
»Ich werde den Stier bei den Hörnern packen, dieser Teufelskerl muss mir sagen, was mit ihm los
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