Zwei Mädels. Ein Weg. Ein Zelt.
enttäuscht.
Auf dem ersten Teil des Weges hatte jedes kleine Dorf mindestens eine öffentliche Wasserbezugsmöglichkeit. Wie es für diesen Pilgerweg typisch ist, werden wir jedoch alsbald wieder einmal positiv überrascht, als wir in einer winzigen Ortschaft, auf einem Gartentisch, eine Kühlbox vorfinden. Daneben liegt ein Schild, welches daraufhinweist, dass sich alle Wanderer für eine kleine Spende aus den Tiefen der Truhe bedienen können. Das Ding ist völlig unbewacht.
Toll wie viel Vertrauen die Reisenden hier genießen. Mit Wasser und Cola eingedeckt, schlurfen wir weiter und lassen uns geschätzte zwei Kilometer vor Portomarín nieder.
Unser Abendessen besteht heute ausnahmsweise mal aus Brot, Thunfisch und Oliven und einer Dessertbanane. Nach diesem kulinarischen Highlight planen wir die letzten Wandertage nach Santiago und stellen fest, dass wir einen Tag zu viel übrig haben und rätseln hin und her. Dass wir uns die Köpfe übereilig zerbrechen, werden wir bald merken...
Als es langsam dunkel wird, wünschen wir uns eine gute Nacht und schöne Träume. Letztere habe ich hier jede Nacht. Meistens träume ich eine Flut an geistigem Durcheinander und oftmals kann ich mich des Morgens bruchstückhaft an die mentalen Geschehnisse der Nacht erinnern. In den Träumen tauchen entweder Akteure und Orte dieser Reise auf oder Dinge, die weiter in der Vergangenheit liegen und meinem Bewusstsein längst verborgen waren. Ich bemühe mich um deren Enträtselung und komme damit irgendwie nicht richtig weiter. Vielleicht handelt es sich auch um nichts Anderes als die natürliche Verarbeitung von Schlüsselerlebnissen in meinem Leben. Nach knapp drei Wochen meiner Pilgerschaft habe ich erstmalig das Gefühl, mental so richtig heruntergefahren zu sein. Ich bin jetzt seit einigen Tagen so richtig angekommen und beginne mich — philosophisch ausgedrückt — tatsächlich „zu finden“. Seit Jahren versuche ich einen plausiblen Sinn im menschlichen Leben zu entdecken und denke, dass wir doch nicht einfach so ohne Grund leben können. Ob ich an die Existenz einer Seele oder an Wiedergeburten oder an einen Gott glaube, weiß ich nicht. Ich bewundere meine beste Freundin, die abends im Bett liegt und mit einer souveränen Sicherheit sagen kann, dass sie in ihrem vorherigen Leben garantiert ein Fisch war. Warum allerdings ihre Lieblingsspeise Sushi ist, bleibt ungewiss... Meine Ansichten in Punkto allmächtiger Herr lassen sich mit den Worten unserer kanadischen Freunde wohl am Besten verdeutlichen. Sie sagen: „There’s always something.“ — „Irgendetwas ist da immer.“ Das trifft nicht nur auf den Jakobsweg zu, der uns Erfrischungen, heiße Kaffees, Freunde zum Frühstück und Meilensteine auf Wunsch schenkt, sondern auch auf unseren Alltag. Auch wenn ich es liebe die Frage: „Was wäre wenn?“ zu erörtern, so muss man es sicherlich nicht übertreiben und unentwegt wissen wollen, ob einem der verpasste Bus, das Überleben gerettet hat. Aber mein Glaube daran, dass bestimmte Dinge nicht ohne Grund passieren, ist unerschütterlich.
Diese Lebenseinstellung festigte sich, als ich mit 18 Jahren ein Flugzeug verpasste. Ich weiß, so etwas muss man erst einmal hinbekommen. Die bisherigen Zeilen erwecken sicherlich auch den Eindruck, dass so eine Nummer supergut zu mir passt. Das ist allerdings keineswegs der Fall. Ich bin ein äußerst zuverlässiger und pünktlicher Mensch und bei Formalitäten sehr korrekt.
Das mit dem Flugzeug fing jedenfalls so an: Mein Vater und ich wollten mit einem Billigflieger nach Südfrankreich reisen. In der Schule waren gerade Herbstferien und ich freute mich auf ein wenig Restsommer in Südeuropa. Wir hatten einen spannenden Trekkingtrip mit Wildniscamping und Outdoor-Kochen geplant. Es sollte meine erste richtige Backpackingtour werden. Start war abends am Flughafen in Frankfurt Hahn. Weil wir beide sehr reichlich Fahrtzeit einplanten, brachen wir schon morgens in meiner Heimatstadt auf. Auf seltsame Weise gerieten wir 30 Kilometer vor dem Ziel von einem Stau in den nächsten. Alle potentiellen Umleitungen reizten wir vergeblich aus. Die Zeit rannte und ich glaubte bis zum Schluss daran, dass wir den letztmöglichen Check-in-Termin schon noch erwischen werden. Im Stop and go quälten wir uns zum Airport. Mein Vater erlitt mittlerweile sogar Wadenkrämpfe in seinem Gaspedalbein. Ob das am Marathon lag, der ihm noch in den Knochen steckte oder ob uns irgendetwas zu bremsen
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