Zwei Mädels. Ein Weg. Ein Zelt.
uns richtig unwohl zwischen all den Menschen. Wo ist die beschauliche Wanderruhe hin? Es kommt uns sogar so vor, als wären die Pilgernden untereinander lange nicht so herzlich und freund-
lieh wie auf vorherigen Wegstrecken. Bevor wir uns lange über diese Wander-Frischlinge ärgern können, machen wir wiederum eine sehr schöne Begegnung: Wir laufen an einer dicklichen, sehr langsam wandernden Omi vorbei und müssen kurz nach der Überholung plötzlich stoppen, weil mir ein Käfer in den Hals geflattert ist. Ich kämpfe mit meinem Trinkwasser also gerade um mein Überleben und huste noch ein wenig vor mich hin, als die Pilgeroma diesmal zum Überholvorgang bei uns ansetzt. Aber weil Cornelia immer eine starke Anziehungskraft auf alte Menschen ausübt, bleibt die Dame stehen und beginnt mit Conny zu plaudern.
Als auch ich wieder zurechnungsfähig und ansprechbar bin, bringe ich mich mit in die Konversation ein. Die deutsche Frau berichtet, dass sie den Jakobsweg bereits zum neunten Mal geht, aber nach schwerer Krebskrankheit dieses Jahr nur die letzten 100 Kilometer wandern kann. Im vergangenen Jahr erkrankte sie während ihres Spanienaufenthalts an einem schlimmen Magen-Darm-Infekt und musste auf den letzten Kilometern auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen. Trotz aller gesundheitlichen Beschwerden hat sie dem Ort Melide dennoch einen Besuch abgestattet. Als sie, wegen ihrer Krebskrankheit, im deutschen Hospital lag und die Ärzte um ihr Überleben bangten, hatte sie ein seltsames Erlebnis. Sie versuchte im Traum — falls es überhaupt ein Traum im klassischen Sinne war — die Hand einer ganz bestimmten Jesusstatue in der Kirche von Melide zu ergreifen. Die Hand war jedoch kalt und hart und wollte ihre Berührung nicht erwidern. Daraufhin schüttelte sie den starren Arm bis er warm und lebendig wurde. Aus diesem Grund wollte sie die Figur im letzten Jahr unbedingt noch einmal live sehen. Was die Frau uns da erzählt, ist äußerst spannend, aber einen kalten Schauer jagt sie mir damit trotzdem über den Rücken. Am frühen Morgen über Nahtod-Erfahrungen zu schwatzen, ist ganz schön schwere Kost. Die freundliche Omi mit der großen Brille legt uns den Besuch der Kirche ans Herz und gibt uns einen tollen Übernachtungstipp für Santiago. Es gebe dort nämlich eine Pilgerherberge, in der man zwei aufeinander folgende Nächte für 17 Euro bleiben kann. Die Besitzer sind sehr freundlich und verteilen sogar frische Bettwäsche in ihrer super sauberen Unterkunft. Heute wird die Oma noch bis in den nächsten Ort gehen. Jeden Tag läuft sie zwischen sechs und zehn Kilometern. Wir ziehen unseren Hut vor dieser Leistung. Ich denke nicht, dass ich mit 75 Jahren jeden Tag in Massenschlafsälen übernachten möchte, mir den Duft verschiedenster Fuß-Geruchs-Noten antun würde und schon gar nicht das Bad mit einem Haufen anderer Frauen zu teilen bereit wäre. Unseren Frühstückstisch teilen wir uns jedenfalls mit zwei befreundeten Kanadierinnen. Die Mädels sind auch auf jeden Fall um die 60 Jahre alt und stellen sich uns als Danielle und Sue vor. Irgendwie kommen wir ziemlich schnell auf das Thema „Geschlechtermix in Herbergsschlafsälen“. Danielle findet das auf jeden Fall total super, weil sie dadurch einen ungehinderten Ausblick auf die Oberkörper der hübschen, männlichen Radpilger genießt. Lachend rechtfertigt sie diese Vorliebe mit den Worten „I am not dead yet!“ — „Ich bin ja noch nicht tot!“. Kanadierinnen scheinen einen tollen Humor zu haben. Im Verlauf unserer Reise haben wir nun schon mit sieben weiblichen Ladies aus Kanada Kontakt gehabt und alle waren total locker drauf und uns auf Anhieb sympathisch. Auf unserem weiteren Weg nach Ferreiros laufen wir den Beiden später noch ein letztes Mal über den Weg. Obwohl sie ein ähnliches Gehtempo zu haben scheinen, begegnen wir ihnen dann nie wieder. Unser heutiges Etappenziel erreichen wir schon am frühen Nachmittag. Das kleine Nest ist total überfüllt mit Pilgern und wir fühlen uns in den Menschenmassen sehr unwohl. Weil wir noch total fit sind, wandern wir weiter nach Portomarín. Auf halber Strecke fassen wir den Entschluss unser Nachtlager vor dem Städtchen aufzuschlagen. Die Landschaft hier bietet sich regelrecht fürs illegale Campen an. Fehlt uns nur noch Waschwasser, stellen wir messerscharf fest und halten in den nächsten Orten Ausschau nach einer Quelle. Trinkwasserhähne sind irgendwie seltener geworden, bemerken wir
Weitere Kostenlose Bücher