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Zwei Schwestern

Zwei Schwestern

Titel: Zwei Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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der Haide. Da geschah es zuweilen, daß man wie eine liebliche Staffage einen Knaben auf dem gegenüberliegenden Bergrüken erscheinen, mittelst eines langen Stabes von Stein auf Stein näher hüpfen, endlich aber auf den Stab gelehnt stehen bleiben und zuhorchen sah. Manchmal erschienen auch die Ziegen, die wie weiße Punkte auf den entfernten blaulichen Rasengründen kletterten. Ich erkannte sogleich den Ziegenbuben, der mich an Hieronimus gewiesen hatte. Ich begrif auch nun, wie er bei seiner doch ziemlichen Entfernung in den Irrthum hatte verfallen können, Rikar geige so schön.
    Auf diese Weise gingen die Stunden in dem Hause dahin. Ja ich verfiel sogar wieder auf mein Zeichnungstalent; denn, was man kaum glauben sollte, in dieser Einsamkeit waren Linien von solcher Schönheit, daß sie mich reizten, ob ich sie nicht nachahmen könnte. Ich suchte mein Buch hervor, welches mit den gehörigen Bleistiften in den Ledersak gepakt war, und zeichnete manche Felsengruppe, manchen Bergrüken, manche Fernsichten, und manche Rasenpläze hinein, und ließ sie zu Hause sehen.
    Eines Tages, als wir schon sehr vertraut waren, ließ mir Rikar sagen, ich möchte mit ihm einen kleinen Spaziergang machen, er hätte etwas Nothwendiges mit mir zu reden. Ich sandte ihm die Antwort, daß ich sehr bereitwillig sei, daß ich mich zusammen richten, und ihn dann in seinem Zimmer abholen würde.
    Als ich meinen Rok gewechselt und meinen Hut aufgesezt hatte, begab ich mich zu Rikar, den ich schon völlig zu dem Spaziergange gerüstet fand.
    Wir gingen durch den Garten rükwärts hinaus, wo man den Springbrunnen zur Linken und die hohe Felsenwand im Angesichte hat. Als wir durch die lose Steinmauer hindurch gegangen waren, und uns auf dem trokenen Grasboden befanden, sagte er: »Ich habe euch eigentlich wegen etwas um Verzeihung zu bitten, welche Pflicht ich wohl schon längst hätte erfüllen sollen, wenn mich nicht eine Scheu zurük gehalten hätte; - aber einmal muß es doch sein.«
    »Ich wüßte durchaus nicht, Freund Rikar,« sagte ich, »was ihr gegen mich begangen haben könntet, dessentwillen ihr mich um Verzeihung zu bitten hättet. Ihr seid ja gegen mich immer die Güte und Freundlichkeit selber.«
    »Und doch habe ich etwas,« sagte er, »das mir auf dem Gewissen liegt. Ihr werdet euch erinnern, daß ich euch, als wir in Wien von einander schieden, das Versprechen gegeben habe, euch einen Brief zu senden, der euch von meinem Aufenthalte Nachricht geben soll. Den Brief habt ihr nicht erhalten.«
    »Nein, ich habe ihn nicht erhalten,« antwortete ich.
    »Weil er gar nicht geschrieben worden war,« sagte er, »und diese Untreue ist es, derentwillen ich euch um Verzeihung bitte.«
    »Aber Freund Rikar,« erwiederte ich, »wie könnt ihr nur so reden, wenn ihr den Brief nicht geschrieben habt, so wird gewiß eine vollgültige Ursache vorhanden sein, derentwillen es unterblieben ist.«
    »Wenigstens ist sie keine leichtsinnige gewesen,« sagte er, »höret mich an.«
    »Nein, nein, Rikar, ihr braucht euch vor mir nicht zu entschuldigen,« erwiederte ich, »es wäre thöricht und schlecht von mir, wenn ich zweifelte.«
    »Wenn es aber eine Rechtfertigung und eine Genugthuung für mich ist, dann lasset ihr mich wohl reden, und hört mich an?«
    »Ja, wenn das ist, Rikar, so redet,« sagte ich.
    »Ich muß manches voraus erzählen, damit ihr alles versteht,« begann er. »Ich wurde in Mailand geboren, meine Eltern aber waren deutsch aus Tirol, und siedelten sich erst nach ihrer Vermählung des Seidenhandels willen in Mailand an. Wir lebten im Winter in der Stadt, im Sommer auf dem Lande. Ich war der einzige Sohn und das einzige Kind. Da wir außer dem Handelsgeschäfte auch noch liegende Gründe in den Bergen hatten, so sah es mein Vater nicht gar so ungerne, daß ich zu dem Handel keine Freude hatte, und mich mehr den Wissenschaften zuwendete, um einmal in die Dienste meines Vaterlandes zu treten. Ich war sehr eifrig, und meine Lehrer lobten mich. In Mailand lernte ich auch meine jezige Gattin Victoria kennen. Sie war ein ausgezeichnetes Mädchen, und wollte mir wohl. Die beiderseitigen Eltern, die in Handelsverbindung standen, und auch sehr große Achtung vor ihrem wechselseitigen Karakter hatten, legten ihren Kindern gar nichts in den Weg. Wir waren sehr glüklich, und wenn sonst die Abwesenheit jedes Hindernißes gewöhnlich die Zuneigung erkalten läßt, so wuchs die unsere vielmehr an diesem Umstande, und ich muß euch sagen, daß

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