Zwei Schwestern
hatte, war es mir immer gewesen, als müßte ich sie schon irgend einmal, ehe ich dieses Haus betreten hatte, gesehen haben, nur konnte ich nicht heraus bringen, wo. Als sie jezt bei der Mutter saß, war sie in dieser Gruppe wie ein altgriechisches Bildniß, das aus hartem Marmor so zart gehauen ist, daß man meint, man könne in die Körpertheile durch Berührung ein feines Grübchen drüken, und das Kleid war so fein, daß man glaubte, man könne es in den Raum einer hohlen Hand bringen.
Die Mutter lud mich nun wiederholt ein, in das Zimmer zu treten. Ich that es, legte das Buch, welches ich auf meinem Spaziergange mit gehabt hatte, weg, nahm mir einen Stuhl und sezte mich den Frauen gegenüber nieder.
Ich sagte zu Camilla: »Ich habe nie so schön und außerordentlich spielen gehört, als Sie, mein verehrtes Fräulein; nur einmal habe ich so ungewöhnliche das Herz rührende Töne vernommen, und das war in Wien von Theresa Milanollo.«
Sie erglühte bei diesen Worten, daß der Purpur sich bis zu den schönen Augen und bis zu dem Naken verbreitete. Die Mutter sah mit seligen freudestrahlenden Augen vor sich.
»Mein Kind,« sagte sie, »hat zu dieser Kunst eine tiefe Zuneigung gefaßt, sie hat dieselbe viele Jahre geübt, und macht uns nun durch sie in mancher einsamen Stunde großes Vergnügen und großen Trost.«
»Ich habe Sie heute auch nicht zum ersten Male gehört, mein Fräulein,« sagte ich, »sondern ich habe Sie schon in der ersten Nacht gehört, die ich in diesem Hause zugebracht hatte.«
»Warum haben Sie denn nichts davon gesagt?« fragte sie.
»Weil ich keine Ahnung haben konnte, wer gespielt habe,« antwortete ich, »weil ich dachte, es werde sich schon entwikeln, und weil ich, da weiter nicht mehr gespielt wurde, und man davon nicht sprach, die Sache für ein Geheimniß hielt, in das ich nicht befugt wäre einzudringen.«
»Ach nein,« antwortete Camilla, »es war kein Geheimniß, ich wollte Sie mit meinem Spiele nur nicht behelligen, ich habe in jener Nacht nicht gewußt, daß Sie in unserem Hause seien, und von da an habe ich immer nur ein wenig gespielt, wenn Sie auf einem Spaziergange abwesend waren.«
»Da müßte ich ja das Haus augenbliklich verlassen, wenn ich die Ursache wäre, daß Sie Ihre holde liebe Kunst nicht ausüben könnten,« sagte ich.
»O nein, nein, Sie sind kein Hinderniß,« antwortete sie, »weil Sie mich nun einmal spielen gehört haben, so werde ich nun schon öfter spielen, wenn Sie sich nicht dadurch beirrt fühlen. Es würde den Vater, die Mutter, Maria und mich sehr kränken, wenn Sie fort gingen.«
»Es freut mich ja die Freundlichkeit, mit der ich hier behandelt werde,« sagte ich, »ich bleibe gerne, und wenn Sie spielen, so macht mir das keine Beirrung, sondern es macht mir Freude, und erregt mir schöne Gefühle.«
Sie erröthete bei diesen Worten wieder.
»Sonderbar ist es,« fuhr ich fort, »daß mir, als Sie spielten, plözlich der Gedanke kam, daß ich Sie schon früher als in diesem Hause gesehen habe.«
»Sie haben mich auch gesehen,« antwortete sie, »ich saß an dem Abende, da Sie in unser Haus kamen, an dem schwarzen Steine draußen, Sie traten an mich heran, und fragten um den Weg zu dem Vater.«
»Also sind es Sie gewesen,« sagte ich; »da der Sache nie erwähnt wurde, dachte ich, es müsse irgend ein Mädchen des Thales gewesen sein, das an jenem Abende zufällig herauf gestiegen, und an dem Steine gesessen sei.«
»Als ich herein gegangen war,« sagte sie, »und mich zur Mutter begeben hatte, erzählte ich ihr wohl, daß ein fremder Mann an dem schwarzen Steine draußen um den Vater gefragt habe; aber da uns der Vater keine Ankunft eines Gastes angezeigt hatte, so glaubten wir, es könne ein Bothe oder ein Geschäftsmann gewesen sein, wie sie manchmal kommen und gleich wieder gehen. Der Vater aber hat die Anzeige unterlassen, weil die Mutter wegen leichten Unwohlseins in ihre Zimmer gegangen war und kein Abendmal genommen hatte. So ist es gekommen, daß ich nicht gewußt habe, daß Sie in unserem Hause seien, und daß ich in der Nacht gespielt habe. Ich habe Sie am andern Morgen gleich erkannt.«
»Und haben nichts gesagt?«
»Weil ich es nicht für erheblich hielt.«
»Ich konnte Sie nicht erkennen,« sagte ich, »weil Sie in der Dämmerung des Steines gesessen waren, weil gegenüber das Abendroth geglüht hatte, und weil meine Augen geblendet waren. Sie waren damals in einer außerordentlich malerischen Ausnahmsstellung, und da
Weitere Kostenlose Bücher