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Zwei Sonnen am Himmel

Titel: Zwei Sonnen am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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wie in einen tückischen Sumpf …
    Schritte und Stimmen weckten ihn. Die Sonne war aufgegangen. Diener kamen, um den Admiral für die Audienz vorzubereiten. Als Usir in sein Gemach trat, stand Torr schon fertig angekleidet vor ihm. Er trug eine violette Tunika, kunstvoll mit Schmelzglas und kostbaren Steinen geschmückt. Kihoro legte ihm gerade ein goldenes Halsband um den Nacken und schlang um sein Gewand einen schwereren, mit Perlen bestickten Seidengürtel. Torr ließ alle Vorbereitungen mit steinernem Gesicht über sich ergehen. Als Kihoro seinen Bart gekämmt und sein Haar in Locken gelegt hatte, trat er zurück und verneigte sich.
    Torr wandte sich Usir zu, sah ihn lange und eindringlich an. Dann sagte er nur die beiden Wörter: »Lebe wohl!«
    Er drehte ihm den Rücken zu. Im schimmernden Morgenlicht ging er durch die Tür - seinem Schicksal entgegen.
    Usir starrte ihm nach, von Furcht, Zorn und Ungeduld gepeinigt. Unfreundlich schickte er die Diener fort. Er wollte allein sein. Das Gefühl, dass Torr einer drohenden Gefahr ausgesetzt war und er nichts unternehmen konnte, um sie abzuwenden, brachte ihn fast außer sich. Rastlos durchwanderte er die Räume.
    Plötzlich blieb er stehen und blinzelte. Ohne dass es ihm bewusst geworden, hatten ihn seine Schritte auf die Terrasse geführt. Die aufgehende Sonne tauchte die Säulen in goldenes Licht. Neben ihr funkelte - einem Spiegelbild gleich - das unbekannte Zwillingsgestirn. Die Strahlenbündel, die es in den Himmel schleuderte, ließen es wie einen riesigen Bronzeschild aufglänzen. Usir runzelte beunruhigt die Brauen. Ihm war, als sei das Gestirn über Nacht noch größer geworden. Wahrhaftig dachte er, ein Fluch scheint auf Atlantis zu lasten …
    Er legte die Hände auf das Geländer und schaute an den Mauern entlang. Unten schimmerte das grüne Wasser der Lagune. Ein finsterer, moosbewachsener Seitenkanal führte unter die Grundfeste des Palastes. Er floss durch eine Wölbung, die zu niedrig war, als dass eine Barke hätte hindurchfahren können. Noch nie hatte sich jemand da hineingewagt. Man erzählte sich, zu Beginn sei der Palast über »dem andern Meer« erbaut worden, einer Wasserfläche, die tiefer lag als das Land und deren letzter Ausläufer die Lagune sei. Das jedoch war vielleicht nur eine Sage. Niemand hatte dieses andere Meer je gesehen. Nur der Priester-König hatte Zugang zu verborgenen Gängen, wo die Finsternis ein Geheimnis zu bergen schien, das älter war als das Menschengeschlecht, ja, älter sogar als alle Lebensformen. Usirs Blick schweifte über die prunkvolle Architektur der Fassaden und Bogengänge, über die harmonischen Fensterreihen, die von den erdrückenden Ausmaßen der goldschimmernden Kuppeln beherrscht wurden. Usirs Nacken erschauerte und sein Atem ging schwer. Der Palast in all seiner Pracht kam ihm wie ein gigantischer, Furcht erregender Kerker vor.
    Plötzlich stockte ihm der Atem. In Schwindel erregender Höhe, genau unter dem überhängenden Dach, war zwischen den Säulen eine Gestalt aufgetaucht. Durch die Entfernung wirkte sie undeutlich und klein, aber Usir erkannte sie sofort. Es war Isa! Hatte sie den Verstand verloren? Usirs Herz hämmerte in seiner Brust. Blitzschnell erkannte er ihre Absicht: Sie wollte in die Lagune tauchen! Ihre weiße Tunika schimmerte in der Sonne, als sie sich langsam, Schritt für Schritt, bis zum äußersten Punkt des Kranzgesimses vorwagte. Usir unterdrückte den Warnruf, der ihm auf den Lippen lag.
    Schon hatte sie den Sprung gewagt. Ihr Körper glitt durch die Luft wie ein schlanker, glitzernder Speer, der sich in einen grün blinkenden Schild bohrt. Sie durchbrach den Wasserspiegel und verschwand in der Tiefe. Dann sah Usir sie wie einen Schatten knapp unter der Oberfläche der Brücke entgegenschwimmen, deren mächtige, in Halbkreise geteilte Bögen sich in der Lagune spiegelten. Im selben Augenblick schoss etwas Schwarzes, Riesengroßes aus einem unterirdischen Gewölbe, teilte das glänzende Wasser und ließ an der Oberfläche eine undeutliche Spur zurück. Ein Haifisch! Usir hatte nicht gewusst, dass es sie in der Lagune gab. Es stand außer Zweifel: Alarm war ausgelöst worden und man hatte das Ungeheuer mit Absicht freigelassen.
    Seinen Mantel abwerfen und über die Balustrade klettern war eins … Schon war Usir gesprungen.

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