Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zwei Sonnen am Himmel

Titel: Zwei Sonnen am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
Gängen verirren. Ich muss einen anderen Weg finden, dachte sie.
    Inzwischen war es dunkle Nacht geworden. Ein üppiges Mahl wurde gebracht. In silbernen Schüsseln reichten Dienerinnen gebratenes oder gekochtes Fleisch, das Gemüse war auf verschiedene Arten zubereitet. Es gab Früchte, Honig, Ingwer und Nüsse. Isa wies die Nahrung nicht zurück, sie wollte bei Kräften bleiben. Der Docht der Lampen war mit duftenden Ölen getränkt. Ein schwerer, süßlicher Geruch verbreitete sich in den Räumen. Isa fühlte, wie ihr die Augen zufielen; ihre Lider waren schwer wie Blei. Vermutlich enthielten die Speisen ein Schlafmittel. Willenlos ließ sie sich von den Frauen auskleiden. Man zog ihr ein zartes, durchsichtiges Gewand an und geleitete sie zu ihrem Bett. Isa spürte ihr Blut mit leisem Pochen durch die Adern strömen. Sie schlief sofort ein.
    Bei Sonnenaufgang wurde sie wach. Sie war es von der Fraueninsel her gewohnt, mit dem ersten Tageslicht die Augen aufzuschlagen. Einen Augenblick lang wusste sie nicht, wo sie war. Sie hatte von der heimatlichen Insel geträumt, von ihrem weißen Hengst, von dem Falken, mit dem sie auf die Jagd ging. Wie weich ist dieses Lager, dachte sie verwundert. Dann erinnerte sie sich, wie ihr Hengst umgekommen und sie in Gefangenschaft geraten war. Sie ballte die Fäuste: Ihre ganze Energie war zurückgekehrt. Atlars blasses, sie anwiderndes Gesicht kam ihr in den Sinn. Sie sah seine weiß glänzenden Fingernägel, seine Augen, die wie Kohlen brannten, vor sich. Ein Grauen kroch ihr über die Haut.
    Vorsichtig richtete sie sich auf: Sie wollte sich umsehen, ob sie allein war. Da fiel ihr Blick auf eine der Frauen, die mit gekreuzten Beinen am Boden saß. Als sie bemerkte, dass Isa wach war, trat sie freundlich lächelnd zu ihr hin, um ihr beim Ankleiden behilflich zu sein. Isa biss sich auf die Lippen. Es war eine Täuschung, anzunehmen, dass man sie nachts unbewacht ließ. Nie, selbst nicht für kurze Zeit, würde man sie allein lassen. Das Gemach war stets von einem Schwarm schnatternder Frauen angefüllt, deren einzige Aufgabe darin bestand, sie zu bespitzeln. Die Frauen gaben sich alle Mühe, sie zu zerstreuen: Sie sangen, musizierten und erzählten ihr den neuesten Palastklatsch. Sie ließen bunt schillernde, goldbestickte Stoffe in der Luft flattern, wühlten in Ebenholzschatullen, die mit Gold- und Silberschmuck gefüllt waren. Nachts wachten abwechselnd die Frauen bei ihr, doch Isa schlief tief ohne etwas zu bemerken. Sie fand bald heraus, dass ihr ein Schlafmittel in den Wein gegeben wurde. Vorerst trank sie diesen Wein, um die Wachsamkeit ihrer Wärterinnen abzulenken. Später dann würde sie weitersehen …
    Sie beobachtete aufmerksam die Lage ihres Gemachs. Es befand sich unter einem überhängenden Ziegeldach sowie über einem Gang, der auf eine halbrunde Terrasse führte. Tief unter der Terrasse dehnte sich eine friedlich aussehende Lagune aus. Vom nahen Meer war sie durch eine Granitbrücke getrennt, deren Bögen sich im tiefen, grün schillernden Wasser spiegelten. Beim Anblick dieser Lagune kam Isa plötzlich ein rettender Einfall. Ihr Herz begann heftig zu klopfen: Jetzt wusste sie, wie sie entkommen konnte. Sie war eine gewandte Taucherin. Wenn es ihr gelingen würde, unter der Brücke, die einen Teil des Festungswalls bildete, hindurchzuschwimmen, war sie gerettet. Isa schätzte die Entfernung: Sie traute sich zu, diese Strecke unter Wasser zurückzulegen. Doch das Wagnis war zu gefährlich, um es bei Nacht durchzuführen. Isa musste ihren Sprung genau berechnen, wenn sie sich nicht an der darunter liegenden Balustrade das Rückgrat brechen wollte. In den frühen Abendstunden gab es keine Möglichkeit, sich der Wachsamkeit ihrer Wärterinnen zu entziehen. Isa beschloss ihre Flucht bei Tagesanbruch vorzunehmen … An jenem Abend zeigte sie sich besonders heiter. Sie brach ihr verstocktes Schweigen und wechselte lächelnd einige Worte mit den Frauen. Als das Essen aufgetragen wurde, langte sie kräftig zu.
    Doch plötzlich stieß sie mit ungeschickter Bewegung den Weinkrug um. Das Getränk benetzte die Gewänder der Frauen, die kreischend und lachend herumwirbelten. Der Krug fiel klirrend zu Boden und eine dunkle Lache breitete sich aus. Die Frauen riefen, sie wollten neuen Wein holen lassen, doch Isa sagte: »Dieser Wein ist so

Weitere Kostenlose Bücher