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Zwei Sonnen am Himmel

Titel: Zwei Sonnen am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Ring über den Finger. Er warf einen Mantel über seine Schultern, dessen weite Falten das Schmuckstück verbargen, und verließ das Gemach. In den Gängen herrschte lautlose Stille. Vereinzelte Fußspuren zeichneten sich im rötlichen Belag ab, der auf den Bodenplatten klebte. Usir durchquerte den großen Mittelsaal und blinzelte in das Licht, das zwischen den Säulen hindurchfiel. Er schirmte die Augen mit der Hand ab und richtete den Blick auf die beiden Himmelskörper, die wie ein ineinander fließender, lebendiger Riesenorganismus zu atmen schienen. Eine im Wind kosmischer Stürme wogende Flammengarbe umgab sie in wirbelnden Spiralen.
    Als Usir sich abwandte, fiel sein Blick auf eine Frau, die geräuschlos näher getreten war. Sie trug ein türkisfarbenes Gewand, das von Schweiß durchtränkt war, und ein Geschmeide aus goldenen Blütenblättern. Ihr schwarzes Haar war aufgelöst und die Schminke rann in glänzenden Streifen über ihr Gesicht.
    Usir grüßte sie und wollte vorbeigehen. Doch sie versperrte ihm den Weg. »Die Schlange …«, flüsterte sie, »die Sternenschlange wird die Sonne vernichten. Das Ungeheuer wird auf die Erde stürzen und jedes Leben auslöschen …«
    Â»Wir können unserem Schicksal nicht entgehen«, erwiderte Usir ruhig.
    Sie lehnte an einer Säule und schüttelte sich vor Lachen. Die goldenen Blüten funkelten auf ihrer Brust, während sie aus blau bewimperten Augen zu ihm hinüberschaute. Als sie wieder zu Atem kam, sprach sie: »Dann lass uns zusammen die Zeit verbringen, die uns noch verbleibt. Komm! Die Becher sind schon mit Wein gefüllt.«
    Sie reichte ihm die Hand.
    Doch Usir schüttelte den Kopf. »Verzeih mir. Ich werde erwartet.«
    Â»Von wem denn wohl?«, spottete sie. »Von deinem Schicksal?«
    Â»Vielleicht«, entgegnete Usir gelassen.
    Sie brach erneut in Gelächter aus. Usir wollte weitergehen, aber sie streckte ihm wieder die Hand entgegen und hielt ihn an seinem Mantel zurück. Der Stoff glitt von seiner Schulter und entblößte Arm und Hand.
    Die Züge der Frau erstarrten. Sie wich entsetzt zurück, als sei ein Blitzstrahl vor ihr aufgeleuchtet. Endlich vermochte sie zu sprechen. Ihre Stimme war nur ein heiseres Flüstern. »Du trägst den heiligen Ring der Macht!« Usir betrachtete sie. Dann hob er die Hand; seine Finger streiften sanft ihre verschwitzte Wange. Ruhig erwiderte er: »Vergiss, was du gesehen hast, geh hinein und genieße den Wein!«
    Er wandte sich ab, bevor sie geantwortet hatte, und setzte seinen Weg fort.
    Staub hing überall in der stickigen Luft. Usirs Kehle brannte. Dann und wann zwangen ihn Hustenanfälle, stehen zu bleiben und Atem zu schöpfen. Die Gänge schienen jetzt spiralförmig über zahlreiche Stockwerke hinwegzuführen. Usir war noch nie so weit in das Innere des Palastes vorgedrungen. Endlich gelangte er in einen hoch gewölbten Gang, dessen Wände mit bunt schillernden wellenartigen Ornamenten verziert waren. Ein silbernes Gittertor glänzte im Halbdunkel. Zwei Wächter standen davor, regungslos und mit geschlossenem Visier. Ihre bronzenen Harnische funkelten. Beide waren mit einem Speer bewaffnet, dessen Spitze die Form eines Dreizacks hatte. Als sie Usir erblickten, kreuzten sie stumm ihre Speere.
    Der junge Mann verlangsamte seinen Schritt. Er trat auf das Gitter zu und sagte zu dem ihm am nächsten stehenden Wächter: »Ich will den Priester-König sprechen!« Die Antwort klang dumpf unter dem Helm hervor. »Der Priester-König empfängt niemanden!«
    Usir schaute ihm gerade in die Augen. »Der Priester-König wird mich empfangen, wenn er weiß, wer ich bin.« »Wer bist du denn?« Die Stimme des Wächters klang höhnisch.
    Â»Das zu wissen ist dem Priester-König vorbehalten«, erwiderte Usir hochmütig. »Lass mich hindurch!«
    Er trat vor.
    Der zweite Wächter versperrte ihm den Weg. »Bist du von Sinnen? Noch einen Schritt und der Tod ist dir gewiss!«
    Ein leises Geräusch ertönte. Das silberne Gitter blinkte auf. Wie von selbst hatten sich die Torflügel geöffnet. Eine sehr sanfte, weit entfernt klingende Stimme wurde hörbar: »Wächter, lasst den jungen Mann eintreten.«
    Die Männer senkten ihre Waffen und traten beiseite. Usirs Herz klopfte zum Zerspringen. Einen Augenblick lang zögerte er.

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